Ich möchte Euch mal von der anderen Seite berichten - vielleicht hat dann der ein oder andere ein bißchen mehr Verständnis für Wartezeiten.
In unserer Praxis überlegen wir gerade sehr ernsthaft, wie wir das Problem in den Griff bekommen. Derzeit wartet man bei uns auf einen Termin ca. 6 Wochen - allerdings sind Kontrolltermine nach Erstbesuch, OP-Termine, Termine für Allergietests, Laser etc. wesentlich schneller zu realisieren, weil dafür Zeiten freigehalten werden. Mit Termin wartet man zwischen 45 Minuten (für uns die absolute Schmerzgrenze) und sofort reingehen, ohne Termin gibt es dreimal wöchentlich Notfallsprechstunden, in denen jeder innerhalb von ca. einer Stunde drankommt (was oftmals für mich heißt, 20 - 25 Patienten innerhalb von 60 Minuten kurz und knapp mit dem Nötigsten zu versorgen). Patienten für Bestrahlungen, Hyposensibilisierungen, Vereisen, Verbände etc. können ohne Termin innerhalb der Kernsprechzeiten reinkommen, da machen unsere Helferinnen viel allein, immer mal wieder muß ich als Ärztin aber auch mal schauen, Therapien ändern, die Hypo-Spritze setzen. Das kostet nicht viel Zeit, aber ein paar Minuten sind es dann doch jeweils.
Wenn wir versuchen wollten, die Wartezeiten im Wartezimmer zu verkürzen, müßten wir unseren Terminplan entzerren. Dann planen wir pro Stunde weniger Patienten ein, haben also genügend Pufferzeit für ausführliche Gespräche (die ich für selbstverständlich halte), für Patienten, die mit gesammelten Beschwerden der letzten Jahre kommen, für 10jährige schüchterne Mädchen, die ohne Eltern in die Sprechstunde kommen und sich erst so nach und nach aus der Nase ziehen lassen, warum sie von der Mama geschickt werden und erstmal suchen müssen, wo denn nun die Warze sitzt, die die Mama gesehen hat und für 90jährige, die im Winter zehn Lagen warmer Kleidung haben, inklusive Mieder, Strumpfhaltern etc., die sich aber soweit ausziehen müssen, daß ich den Ausschlag am Popo beurteilen kann und sich natürlich hinterher wieder anziehen müssen.
Dafür verschieben sich die Wartezeiten auf einen Termin zum Erstarztkontakt auf Monate - weil mehr als arbeiten können wir auch nicht, Sprechzeiten von viermal 11 und einmal sechs Stunden in der Woche, davon insgesamt ca. 30 Stunden in doppelter Arztbesetzung sollten eigentlich reichen, inklusive Mittwochnachmittag und ohne Mittagsschließung. Der letzte Termin ist um 18.30 Uhr abends möglich. Ich finde das durchaus patientenfreundlich.
Ich für mich denke, daß die Wartezeit bei uns auf einen Termin zu lang ist - ich weiß aber keine wirkliche Lösung dafür. Eine Wartezeit bis zu 45 Minuten im Wartezimmer ist zwar an der Grenze - aber in meinen Augen kommt es auch darauf an, was dann passiert, wenn man im Sprechzimmer ist. Wenn ich einen Patienten begrüßt habe, bin ich voll für ihn/sie da. Ich höre zu, erkläre, was ich diagnostiziere, warum ich welche Behandlung machen möchte, welche Alternativen sich ergeben, gehe auf Fragen ein. Wenn ich weiß, daß nicht zu viele wartende Patienten sitzen, operiere ich auch schnell mal zwischendurch kleinere Sachen (mal abgesehen davon, daß beim Verdacht auf bösartige Veränderungen bei mir eine OP entweder sofort oder mindestens innerhalb der nächsten 24 Stunden selbstverständlich ist). Ich halte gar nichts davon, daß Patienten bereits ausgezogen im Sprechzimmer warten müssen, ich habe immer so viel Zeit, daß erst nach einem kurzen Vorgespräch die Hüllen fallen müssen. Und wenn ich merke, daß jemand gerade besonderen Streß, besonderen Kummer, besondere Sorgen hat, dann ist auch mal schnell eine halbe Stunde im Gespräch vergangen. Ich habe das Gefühl, daß meine Patienten sich damit angenommen fühlen, daß sie mit der Erfahrung, daß ich mir für sie Zeit nehme, auch eine Wartezeit eher in Kauf nehmen.
Klar könnte ich fast jeden Patientenkontakt auf fünf Minuten begrenzen - indem ich das Wort führe, kleinere Wehwehchen auf einen nächsten Termin verschiebe und Gesprächsbedarf konsequent ignoriere. Wer würde sich damit aber wohlfühlen?
OP-Termine planen sich gut, weil es gut zeitlich einzuschätzen ist. Gerade Erstvorstellungen lassen sich aber nicht einschätzen. Da muß es nur um Allergien gehen, wo man fragen, fragen, fragen muß. Oder es kommt eine verunsicherte Mutter mit einem Kind, das auch unruhig ist, weil die Situation unbekannt ist, wo man einen Kontakt zum Kind aufbauen muß, der Mutter erklären muß, was wichtig ist (und daß auch so mancher Kinderarzt die Eltern nicht gut genug betreut, wenn es um Ernährung, Hautpflege etc. geht, muß ich Euch wohl kaum erzählen), dabei drauf achten muß, daß das Kind nicht die Einrichtung zerlegt, weil die Mutter zu sehr abgelenkt ist...
Uns Ärzten machen diese Wartezeiten auch nicht wirklich Spaß - wir arbeiten eigentlich immer unter Zeitdruck, den uns aber keiner anmerken sollte.
Und wir sind nun die "Spezialisten", bei denen es doch eigentlich keine Notfälle geben dürfte - was aber sind Furunkel kurz vor dem Platzen, plötzlich auftretende Ganzkörperausschläge, eiternde eingewachsene Nägel, akute Nesselsucht oder heftige allergische Reaktionen?
Ich kann Euch sagen, wenn man innerhalb von 4 Stunden ca. 50 Patientenkontakte hatte (vom Unterschreiben eines Rezeptes mit kurzer Frage nach dem Wohlbefinden bis zur halbstündigen OP), dann ist man danach geschlaucht. Und man hat als Arzt dann auch nicht unbedingt immer Verständnis dafür, wenn Patienten sich beschweren, daß sie 20 Minuten warten mußten (und das war an dem Tag die längste Wartezeit).
Liebe Grüße, Anke