Aus der Kaffeebohne wird Michelle Jasmin, ambulant geboren im Klinikum

Schäfchen

Copilotin
Sie zierte sich. Der ET war da, der Muttermund seit Tagen weich, aber von Wehen keine Spur. Nun ja, mein Gyn hatte es vorhergesagt, die Statistik zeigt dass bei zwei drüber gegangenen Kindern auch ein drittes meist drübergeht. Die bekannten Hausmittelchen konnten nicht locken. Heiß baden brachte mir nur Schweißausbrüche ein. *** mit dem Ingo brachte Spaß, aber keine Wehen. Lange Spaziergänge wiegten das Kind in den Schlaf, aber sonst auch nix.

Am Mittwoch verabschiedete sich mein Gyn, ab 41. Woche darf er mich nicht mehr betreuen, dann ist die Klinik zuständig. Für den folgenden Tag wurde eine Fruchtwasserspiegelung angeordnet. Mit meinem Einverständnis reizte der Gyn „zum Abschied“ noch den eigentlich bereiten Muttermund. Nachmittags fühlte ich mich komisch, der Kreislauf wackelte ein wenig, es zog und kniff. Also abends nochmal „Hausmittelchenprogramm“ – danach war alles an Ziepen weg. Mist!

Donnerstagmorgen wachte ich mit einem komischen Gefühl zwischen den Beinen auf. Meine Bettdecke und mein Laken zeigten beide je einen nassen Fleck. Geplatzte Fruchtblase? Ich war unsicher. Es roch nicht, es war farblos. Na, in die Klinik mussten wir ja sowieso, also sind wir los. Diagnose der Ärztin: die Blase steht. Aber die Spiegelung macht sie eben mal gleich mit, Fruchtwasser ist ok. CTG für den nächsten Tag und nächste Spiegelung in zwei Tagen wird avisiert. Damit sind wir entlassen. Wir fahren heim, holen den Einkaufszettel, düsen ins Einkaufszentrum. In der Obstabteilung kommt die erste Wehe, die als solches geltend gemacht werden kann. Wenig später die nächste ... Wir haben alles, fahren heim und machen Mittagessen. Ingo behält derweil die Uhr im Blick. Nach dem Essen fahren wir in die Klinik zurück. Nicht die schlechteste Entscheidung, wie sich herausstellt, obwohl wir noch große Wehenabstände haben.

Die Hebamme stellt fest, dass sich die Zervix nach innen gekrempelt hat, die Wehen daher nicht die Kraft auf den Muttermund haben, wie man es gern hätte. Händisch zieht sie die Zervix nach aussen, ich möchte sie würgen und teeren und federn. Aber es scheint sich zu lohnen. Nachdem wir uns zusätzlich auf einen Einlauf geeinigt haben, kommen die Wehen schlagartig heftiger und in engerem Abstand. Wir bekommen ein Vorwehenzimmer, der Pilot einen Kaffee und ich Tee und Traubenzucker und Wasser. Veratmen kann ich nach wie vor im Sitzen am besten, im Liegen verkrampfe ich. Die Hebamme ist nett, ich frage sie nach ihrem Schichtende. Sie muss bis abends um zehn, sagt sie mir und ist sich sicher, dass sie mit uns unser Baby entbindet. Ich fühle mich erleichtert, fühle mich geborgen bei ihr und zugleich wie ein Jammerlappen. Nach und nach dämmert mir, dass mein Veratmen Makulatur ist. Die Wehen sitzen zu 100 % im Schambeinbereich, mit allen mir bekannten Atemtechniken komme ich da nicht ran. Leichte Panik macht sich breit, die Wehen erreichen eine Intensität knapp über meiner Schmerzgrenze. Ich fühle die Übelkeit aufsteigen, die sich in solchen Fällen meldet. Die Hebamme gibt mir ein Zäpfchen, das die Schmerzen eindämmen soll. Dann ziehen wir in den Kreißsaal um. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren, die Uhr zeigt halb acht. Muttermundbefund sagt 5 cm. Das Zäpfchen wirkt gefühlte drei Wehen und lässt dann wieder nach. Noch immer veratme ich sitzend bzw. versuche es. Mit den Händen halte ich mich am Tuch über dem Bett fest, beim Einatmen ziehe ich mich mental hoch, beim Ausatmen lasse ich mich fallen. Doch an die Schmerzen komme ich auch jetzt nicht ran. Als der Magen rebelliert, versteht mich Ingo schnell genug, um mir eine Schale zu reichen. Die Hebamme überredet mich zu einer Seitenlage, um dem Baby den Weg durchs Becken zu erleichtern. Es hat es durch meine Sitzposition schwerer beim Reindrehen. Ich gebe nach. Der Wehenschmerz ist im Liegen nicht stärker und nicht schwächer. Ich bekomme noch eine schmerzhemmende Spritze. Ingo ist da, seine Nähe gibt mir Halt und trotzdem fühle ich meine Kräfte schwinden. Das nicht Veratmen können bewirkt, dass ich nicht wie bei den anderen Geburten beim Ausatmen sanften Druck in den Bauch legen kann, um das Kind zu schieben. Zudem macht sich Panik breit, wie ich in dem Zustand mit den Schmerzen noch pressen soll – direkt in den Schmerz rein. Ingo hält meine fahrigen Hände, die Hebamme fühle ich gelegentlich sanft streichelnd. Leise bin ich schon lange nicht mehr, ich nehme keine Rücksicht – irgendwo muss der Druck ja hin. Ich verliere Zeit und Raum, bete bei jeder Wehe, dass der Schmerzhöhepunkt schnell vorbeigeht. Die Hebamme überredet mich zum Umdrehen auf den Rücken, sie will mal gucken wie weit wir sind. Dann liege ich plötzlich auf der rechten Seite und aus dem Stimmengewirr kristallisieren sich die Stimmen der Hebamme und Ingos, die mich beide zum Pressen überreden wollen. Ja sind die denn des Wahnsinns? Zwischen vermutlich äußerst undamenhaftem Schmerzgebrüll, dem Betteln dass man dem Kind hilft (ich sehne mich nach einem Dammschnitt ...) weil ich keine Kraft mehr habe zum Pressen und den Rufen nach meinem Kind gelingt der Kraftakt: Der Kopf schiebt sich durch, dann mit dem letzten Quentchen Kraft lässt der Druck plötzlich nach, als das Baby vollständig rausrutscht. Adrenalin pur. Geschafft, Unglaublich. Unfassbar. Tränen in den Augen. Die Uhr zeigt Schlag 21 Uhr. Ingo ist plötzlich an meinem Fußende, bekommt Anweisungen – er nabelt seine Tochter ab. Das erste Mal, dass er diese Chance hat. Und in mir macht sich plötzlich das warme Gefühl von ganz viel Liebe breit. Mir fällt nichts Geistreicheres ein als die Frage, ob da wirklich kein Schnipel dran sei ...

Dann habe ich sie im Arm: unsere dritte Tochter. Wunderschön, so gar nicht knautschig und einfach nur wunderbar. Der Rest geht recht locker vonstatten. Die Plazenta kommt vollständig, wir werden gefragt, ob wir sie mit heim nehmen wollen. Ich finde den Gedanken befremdlich, aber ein Stück Neugier ist da und ich mag sie mir ansehen. Die Hebamme zeigt sie mir, erklärt die einzelnen Teile. Natur ist faszinierend. Geschnitten haben sie nicht ... der Riss ersten Grades wird genäht, wobei die Hebamme von einem Stich ausgeht, die Ärztin aber meines Fühlens nach mindestens drei macht.

Danach gibt es technische Daten: 51 cm, 3900 g und 34 cm KU. Ich weise die Hebamme darauf hin, dass die Sachen fürs Kind in unserer Tasche sind. Unser Anliegen, heimgehen zu wollen, stößt diesmal nicht auf Kritik. Wir haben es mit einem tollen Team zu tun. Der diensthabende Kinderarzt wird informiert, sie gibt ihr Ok. Nachdem Michelle Jasmin das erste Mal gestillt hat, zieht der Papa sie an. Dann warten wir ab, kuscheln, genießen ... Die liebe Hebamme verabschiedet sich, ich bedanke mich bei ihr. Dann bekomme ich mein Abendbrottablett, dass sie für mich aufgehoben hat. Anschließend darf ich duschen gehen. Um Mitternacht gehen wir heim, die inzwischen zuständige Hebamme ist kein Fan von ambulanten Entbindungen, aber unsere Papiere sind ja schon abgesegnet. Sie betont natürlich mehrmals, dass wir nur ausnahmsweise nach drei Stunden gehen dürfen, üblich seien vier – aber wir sind allein auf der Kreißsaalstation. Gegen halb eins sind wir daheim. Die großen Schwestern schlafen bei bei meiner Mama, Ingos Papa ist noch wach und wartet auf seinen Sohn. Nach einem Whisky für die Männer und einem halben Schwarzbier für mich fallen wir ins Bett.

Es war eine harte Geburt, sie erschien noch härter als die beiden davor – und dennoch war sie schön, wenn nicht sogar die schönste im Hinblick auf das Angenommen werden seitens des Klinikpersonals.
 

Krawumbuli

Mama Liebenswert
AW: Aus der Kaffeebohne wird Michelle Jasmin, ambulant geboren im Klinikum

So schön geschrieben :herzchen: *seufz*

Und ich finds gar nicht schlimm, dass kein Schnipel dran ist!!

:bussi:
 

Bianca

Gehört zum Inventar
AW: Aus der Kaffeebohne wird Michelle Jasmin, ambulant geboren im Klinikum

Ich hab hier totale Gänsehaut :corinna: und hab beim Lesen grad voll mitgefiebert.

Danke für den Geburtsbericht Deiner Michelle Jasmin. :herz:
 

Annette

Die Nette
AW: Aus der Kaffeebohne wird Michelle Jasmin, ambulant geboren im Klinikum

Jetzt sitz ich hier mit Tränchen in den Augen und Gänsehaut. Sooo schön!
Vor allem find ich schön dass du wirklich gehen durftest, zu Hause kuschelt es sich doch am besten. :)

Alles Liebe euch,
Annette - hoffend, auch mal gleich nach Hause zu können
 

Sabrina

Dauerschnullerer
AW: Aus der Kaffeebohne wird Michelle Jasmin, ambulant geboren im Klinikum

Wunderschön geschrieben, ich habe voll mitgefiebert:bravo:

Nochmal Herzlichen Glückwunsch zu eurer wunderschönen Tochter
 

Steffi14

Emotionsknödel
AW: Aus der Kaffeebohne wird Michelle Jasmin, ambulant geboren im Klinikum

Liebe Andrea,

so lebendig und liebevoll geschrieben! Schööön!
 

Rina

Miss Brasilia
AW: Aus der Kaffeebohne wird Michelle Jasmin, ambulant geboren im Klinikum

Schöööööööööööön.

Liebe Grüße
 
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