Ostalgie ... bin ich überempfindlich?

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Paulchen

AW: Ostalgie ... bin ich überempfindlich?

Echt? Lehrer wurden übernommen? Aber haben die nicht vorher ganz andere politische Inhalte gelehrt? Man kann doch gar nicht von heute auf morgen umdenken, vielleicht will man ja auch gar nicht. Ich stell mir das sehr schwierig vor - für alle Beteiligten...

Katja
 

Lucie

Digitaler Dinosaurier
AW: Ostalgie ... bin ich überempfindlich?

:winke:
find ich spannend, was sich so aus meinen unausgegorenen, mehr durch Emotionen die sich an diesen Symbolen festmachten hochgekommenen Gedanken entwickelt hat. Und ich danke allen, dass sie antworten. Egal, welche Meinung.
Der Dialog ist wichtig. Immer. Sonst wächst eh nie zusammen, was man gewaltsam getrennt hat.

Für mich zieht die Diskussion viel weitere Kreise, als ich gedacht hätte... ich stelle nicht in Abrede, dass es viel gegeben hätte, was zu Erhalten wert gewesen wäre. Ich kenne ja nur das Recyclingsystem aber es wird schon noch mehr gegeben haben. Dass die Ostprodukte im Lebensmittelbereich weiterhin konsumiert werden, find ich mehr als selbstverständlich, es ist schön, dass es sie noch gibt, zunehmend mehr gibt, auch im Westen. Irgendwann sollten wir soweit sein, dass es keine Wessi- und Ossiprodukte mehr gibt sondern nur noch das was einem schmeckt. Das alles war nie Thema meines Anstosses.
Dass nach der Wiedervereinigung viel Unrecht am Osten geschehen ist, steht ausser Frage, dass immens viel Geld von West nach Ost geflossen ist und hier die Ruhrpottstädte z.B. Schulden machen um diesen Transfer überhaupt leisten zu können, dass es auch hier keine Arbeitsplätze erst recht nicht blühende Landschaften überall gibt und man auch hier nicht in Urlaub fahren kann weil man am untersten Existenzminimum lebt... - sind alles Themen, die so wichtig, so brisant sind, die aber für mich gar nix mit meinen Steinen des Anstoss zu tun haben...

Dass Frau Enie sich wahrscheinlich gar keinen Kopf drüber gemacht hab, was sie da für Register zieht, glaub ich gern :ochne:. Für sie hats halt zur perfekten Präsentation ihres Thema"s "ehemalige DDR" gepasst... man will ja authentisch sein. Ja aber - nur weil sie es darf, ist es damit auch moralisch gesehen o.k.?

Ich mein, mit etwas Feinfühligkeit, mit etwas Fingerspitzengefühl, mit dem Bewußtsein dafür, dass in dieser früheren geliebten Heimat auch eine Diktatur herrschte, die Menschen verfolgte, quälte, ermordete, die repressiv gegenüber Systemgegner vorging, hätt sie das Thema auch umsetzen können, ohne auf die Symbole und die Machthaber genau dieser Diktatur zurückzugreifen.

Einzig allein darum gings mir ursprünglich, obwohl ich es sehr interessant, wichtig, spannend finde, was sich draus entwickelt hat.

Stalin war einer der grausamsten Diktatoren der neuzeitlichen Geschichte. So was fass ich einfach nicht, das grenz für mich an unsägliche Ignoranz, da mal hoppla nen Nachtisch nach zu nennen. Auch wenn sie vielleicht einfach nur in ihrem Hirn eine Erinnerung hatte, dass es wahrscheinlich irgendwo in der DDR so ne Strasse gab... hätt sie doch auch Rosa-Luxemburg-Eis rühren können, das wär nicht so übel gekommen. Nä, Denken erlaubt, auch in ner Kochsendung :umfall:.

ich kann auch Buchweizensuppe aus dem Krieg kochen, ohne mir dafür den Adolf an die Wand zu hängen, weils halt aus der Zeit war... DAS mein ich. Aber wenn ich mir den dann an den Bilderhaken häng, noch ein Kreuz und nen Mutterorden an die Brust steck, dann brauch ich mich nicht wundern, dass manche Leute blöd schauen :ochne: - und andere sich freuen, weil ich Wasser auf ihre Mühlen gieße in meiner Naivität :umfall:.

Nicht, dass die DDR wie das 3. Reich war, aber es durchaus auch einige Parallelen zu diesem Unrechtssystem - die allen Unrechtssystemen eigen sind.
Nur als Beispiel Verfolgung und Bedrohung Andersdenkender, Kontrolle von Presse und freier Meinungsäusserung, Erziehungswesen ( der Staat hatte nämlich durchaus politisches Interesse an dem umfangreichen Ausbau der Kinderbetreuung und man glaube nicht es wäre die Sorge um die Bürger gewesen :ochne:) , Schaffung einer Geheimpolizei, auch
es gab nämlich links und rechts und oben und unterhalb der DDR-Landkarte nichts ausser Bonn und einige wichtige Flüsse
Auch sehr typisch ist, andere Diktatoren zu verherrlichen, den Bürgern unkritisch nahezubringen und ungewünschte politische Andersdenkende und Regierungsformen zu diffamieren.
die Liste könnt man lang ergänzen.
Also denk ich, kann man sehr wohl Vergleiche zu anderen Diktaturen ziehen, ohne sich auf zu sehr dünnem Eis zu bewegen;) .

Wer wann was von diesem Regime und seinen Machenschaften gewußt hat, würde ich mich nicht wagen zu beurteilen.
Aber die kritische Frage, wer überhaupt was hat wissen wollen, die erlaube ich mir schon. Ich mein, je mehr man wußte, umso ungemütlicher hätts dann auch werden können - für eigene Leben, für den eigenen Seelenfrieden mit dem man sich so schön in diesem Regime eingerichtet hatte... auch das wieder eine Parallele zu anderen Unrechtsregimen dieser Welt, aktuell oder in der Vergangenheit.

Was die Aufarbeitung angeht... brauchen wir "Wessis" uns auch nicht in die Brust schmeissen... meiner Ansicht nach ist das 3. Reich bis heute nicht aufgearbeitet.
Wir sind die dritte bis vierte Generation nach diesem Regime :ochne:
Es gab immer genügend Gründe, die gegen die Aufarbeitung sprachen - z.B. dass einfach noch zu viele lebende Zeitzeugen soviel Dreck am Stecken hatten und haben. Und nach dem Krieg soviele Würdenträger einfach in neue Ämter und Würden gekommen sind (z.B. Stichwort Filbinger).
Das Schweigen der Generation nach dem Krieg wurde erst gebrochen, als die übernächste Generation heranwuchs, die nicht mehr dem Schweigegebot der Eltern gehorchen mußte, die Angst vor den Fragen ihrer Kinder nach ihrer persönlichen Verantwortung haben mußten, wo sie waren, was sie waren.
 

Wölfin

Gehört zum Inventar
AW: Ostalgie ... bin ich überempfindlich?

Lucie, du sprichst mir aus der Seele :jaja:

Ein wenig kommt es mir vor, als würden die, die näher am System waren, unkritischer sein (nicht alle) und die, die von "Außen" drauf schauen, viel, viel kritischer.

Vielleicht kommt es daher, dass man von Außen objektivere Gefühle hat.
Wenn man näher dran war, kommen Gefühle wie "Zuhause sein" "Kindheit" dazu. Genau das stellt ich mir schwierig vor - diese beiden Dinge von einander zu trennen: einerseits die schönen Gefühle von Vertrautheit und Zuhause, anderseits ein Regime, in dem man ja nun mal gelebt hat.

Mir begenen immer noch Frauen, die mir sagen, ihnen hätte die frühe Betreuung (ab 3 Monate) nicht geschadet. Dieser Satz ansich lässt mich sofort aufhorchen....den hört man auch, wenn Kinder sagen, Schläge der Eltern hätten ihnen nicht geschadet. Auch wenn jetzt gleich viele aufschreiben: das kann man doch nicht vergleichen! Erstmal weiterlesen :zwinker:!
Solche Sätze kommen meist, wenn man die Eltern, für was auch immer, in Schutz nehmen will. Es gab auch zu DDR Zeiten Mütter/Eltern, die drei Jahre zu Hause geblieben sind (im Dorf von einer Mutter so gesagt), als gab es schon Alternativen. Aber die meisten haben sicher nicht darüber nachgedacht, dass eine Bindung zum Baby nicht wirklich aufgebaut werden kann, wenn es 10-12 Stunden von den Eltern getrennt ist.
Da stand seitens des des Regimes ein System hinter, das bis heute gerne "geschützt" wird.

Auch hier rechne ich mit lauten Gegenstimmen.

ABER, mir ist einfach aufgefallen, dass ich hier oft auf Frauen treffe, die ich als gefühlskalt empfinde. Die gibt es überall auf der Welt, nämlich immer dann, wenn in der Kindheit irgendetwas schief gelaufen ist.
Es gibt auch Frauen, die sind sehr herzlich und liebevoll, auch mit ihren Kindern. Mit denen kann ich komischerweise über dieses Thema auch sehr offen sprechen :???:! Andere gehen sofort in o.g. Verteidigungshaltung ("hat mir nicht geschadet").

ICh kann aus eigener Erfahrung gut verstehen, wenn man seine Eltern schützen will. Nur ob das dem eigenen Leben gut tun, seinem eigenen Eltersein, das bezweifle ich sehr stark.

Für mich liegt hier der Grundstein für mehr Verständnis füreinander. Dazu braucht es nämlich die Fähigkeit fühlen zu dürfen und zu können.

Im 3. Reich ist die Bindung zwischen Eltern und Kinder auch systematisch unterbunden worden....meine Eltern haben sich davon nicht befreien können:( . Nur so ist Mißgunst innerhalb der Familien überhaupt möglich. Und wenn man sich schon nicht mit denen verstehen kann, die man eigentlich liebt, wie soll dann Ost und West zusammenwachsen.

Wir müssen uns trauen hinzuschauen, ganz ehrlich, jeder für sich. Und wir müssen darüber reden und versuchen, die andere Meinung zu hören, zu überdenken um besser zu verstehen. Wir können voneinander lernen - dazu brauchen wir doch die Politiker nicht :zwinker:
 

jackie

buchstabenwirbelwind
Moderatorin
AW: Ostalgie ... bin ich überempfindlich?

Sorry Sandra, im Grunde hast Du ja recht, aber wie einige/viele Andere stellst Du das demokratisch-geprägte Gemeinwohl über das Wohl des Einzelnen.

das klingt aber irgendwie nach kommunismus... wird/wurde dem westen nicht immer vom osten vorgeworfen, genau das nicht zu tun? stattdessen dem individuum zu viel raum zu geben?

Provokativ gefragt: Was nützt die die Freiheit alles sagen zu dürfen und reisen zu dürfen (da Du das ja ansprichst) und die berühmt berüchtigten Bananen kaufen zu können, wenn Du 1. Deine Arbeit verlierst; 2. Dein Sozialgefüge verlierst, 3. entwurzelt wirst und auf einmal alles schlecht finden sollst, obwohl Du Dich nicht schlecht gefühlt hast, 4. Deine Freunde und Familien sich in den Westen aufmachen und statt blühender Landschaften leere Dörfer hinterlassen und 5. die Marktwirtschaft (die ja auch im Westen sehr provokant diskutiert wird!) die Kolchosen und LPG's und damit Dein Einkommen ruiniert? Und Du zwar tehoretisch mit Deinen Kiddies nach Italien in den Urlaub fahren könntest, aber leider am untersten Existenzminimum lebst?

zunächst einmal: ich schätze meine freiheit über alles. :D

hast du gestern abend die doku auf ard gesehen, 1989 hiess die? die hat sehr eindringlich gezeigt, dass die ddr 1989 alles andere darstellte f die einwohnerInnen als blühende landschaften, dass die dörfer schon dabei waren leer zu werden, dass die geschäfte leer waren, dass es orte gab, wo auf veraltete weise braunkohle abgebaut wurde und ein derartiger sief in der luft war, dass man fackeln anbrennen musste, damit die autofahrer auf der straße bleiben...

ich glaube halt, dass viele die damals in die freiheit stürmten das waren, was man heute so gerne als wirtschaftsflüchtlinge tituliert... und dass sich nach kurzem eine große enttäuschung breit gemacht hat, die bis heute anhält, dass im so golden gemalte westen auch nicht alles gold ist, was glänzt

aber wenigstens kann man sagen was man denkt

eine diskussion wie die hier unter ddr regime? never ever!

abschliessend möchte ich noch was sagen: ich erwarte überhaupt nicht, dass menschen, die in der ex-ddr aufgewachsen sind, jetzt alles schlecht finden sollen (hab ich aber auch schon geschrieben, wurde wohl nicht wahrgenommen :D ) mir geht es vielmehr darum, dass ich einen zu lässigen umgang mit symbolen, die die ddr verherrlichen/verniedlichen/glorifizieren oder auch mit einem wehmütig ostalgischen blick verklären f absolut leichtfertig und unangebracht halte. das war knallhart damals, f viele menschen, sicher nicht f alle.

:winke:
jackie
 

Kathi

Dino
AW: Ostalgie ... bin ich überempfindlich?

Guten Morgen in die Runde,

ihr habt ja so viel geschrieben :umfall: . Ich würde gerne mitdiskutieren. Aber ich habe seit gestern Abend Kopfschmerzen und einen Kratzhals, ich brüte bestimmt was aus. Jetzt muss ich erst mal sehen, wie ich den heutigen (Arbeits-)Tag rum bekomme.

:winke:
Kathi
 

bribra

Gehört zum Inventar
Gesperrt
AW: Ostalgie ... bin ich überempfindlich?

Echt? Lehrer wurden übernommen? Aber haben die nicht vorher ganz andere politische Inhalte gelehrt? Man kann doch gar nicht von heute auf morgen umdenken, vielleicht will man ja auch gar nicht. Ich stell mir das sehr schwierig vor - für alle Beteiligten...

Katja

Ja klar, aber es würde ja auch in Firmen etc. Staatsbürgerkunde betrieben. Auch Polizisten wurden überprüft udn dann übernommen, auch Hochschullehrer etc. Hätte man denn 5-10 Millionen Leute in die Arbeitslosigkeit entlassen sollen? das wäre ja die andere Alternative gewesen... Ganz schwierig, sicherlich - und wirklich für alle beteiligten...
 
P

Paulchen

AW: Ostalgie ... bin ich überempfindlich?

Bribra, vielleicht bin ich blauäugig. Aber ich stell mir so eine innere Zerrissenheit vor bei einem Lehrer, der 20 Jahre in der DDR gelehrt hat - und dann in Gesamtdeutschland (mit einer völlig anderen politischen Realität) arbeiten muss. Immerhin überträgt man Lehrern die Verantwortung für das eigene Kind. Und bei Polizisten? Genau so schwierig. Denn waren die Polizisten nicht Vertreter des Staates und haben ordentlich mitgespitzelt, abgehört etc. . Kann man das dann "abstellen"?

Ich profitiere sehr von diesem Fred. Wie schwierig alles...

10 Mio Leute waren ja wohl auch in der DDR nicht politisch "oben" oder? Ich meinte vor allem die, die solche Dinge verantwortlich angeordnet haben. Das waren sicher einige weniger. Ich mein ja auch nicht, dass die arbeitslos werden sollten. Aber in verantwortlicher Position, z.B. weiterhin als Prof an der Uni? Find ich eher bedenklich muss ich sagen.
 
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Bärbel

bringt es auf den Punkt.
AW: Ostalgie ... bin ich überempfindlich?

In Sachsen mussten alle Lehrer gehen, die ausschließlich Staatsbürgerkunde unterrichtet und den Schülern den richtigen Klassenstandpunkt beigebracht hatten. Mecklenburg-Vorpommern hingegen verpflichtete diese Lehrer zu Schulungen, danach unterrichteten sie sogleich Gesellschaftskunde. Besonders rigorose Kriterien stellte das CDU-regierte Thüringen auf: Die Personalkommissionen sollten sich nicht nur ein Bild von der Vergangenheit eines jeden Lehrers verschaffen, vielmehr sollte geprüft werden, ob seine aktuelle Haltung ihn befähige, «entsprechend dem Grundgesetz junge Menschen zu bilden und zu erziehen ». Einstigen hauptamtlichen Parteifunktionären, Schulräten, Parteisekretären, Pionierleitern und langjährigen Direktoren sowie Lehrern für Staatsbürgerkunde oder Wehrkunde wurde das nicht unbedingt zugetraut. Der Vorsitzende des Bildungsausschusses im Landtag monierte allerdings, nach diesen Maßstäben würden «auch Mitglieder der Landesregierung» durchfallen. Der Name des Parlamentariers: Dieter Althaus, vormals Mathematikund Physiklehrer, seit 1985 CDU-Mitglied. Als er Anfang 1992 das Kultusministerium übernahm, erinnerten sich ehemalige Schüler, dass er sich als stellvertretender Schulleiter lautstark für den «Erhalt des Sozialismus» eingesetzt habe.

Eine zentrale Kommission in Thüringen bezweifelte zunächst die persönliche Eignung von rund 4500 der 40000 Thüringer Lehrer, dann lud sie 3000 Pädagogen zu mündlichen Anhörungen, die Kündigung erhielten schließlich 1400. Wegen ungenügender fachlicher Eignung mussten rund 1900 Pädagogen gehen. Dazu trafen bis Ende 1996 aus der Gauck-Behörde 1270 «Positivbescheide» ein. Nur 329 dieser Lehrer verließen den Schuldienst. Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt, die nicht so laut getönt hatte wie die Thüringer, kündigte 466 von belasteten 1140 Pädagogen, das waren zumindest vier von zehn.



Quelle: http://www.welt.de/politik/deutschl...s-Stasi-Mitarbeitern-Staatsdiener-wurden.html


lg
Bärbel
 
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