ich wurde erzogen- ich erziehe...mache ich die selben fehler? (LANG!)

Jasmin08

Tourist
hallo zusammen,

ich denke momentan sehr viel über die erziehung meines sohnes (18 monate) nach.
ich selbst wurde in einem sehr autoritären haushalt groß, es gab auch ab und zu schläge, wenn wir "arge" grenzen überschritten, liebesentzug und ignorieren waren mehr oder weniger an der tagesordnung. ich kann meinen eltern dies eigentlich nicht vorwerfen, sie haben wohl immer nach bestem wissen und gewissen gehandelt, die zeit damals war halt auch eine andere. wir haben auf dem land gelebt und es gab da nicht wirklich viele erziehungsmodelle.

nichts desto troz ich das alles weiss, habe ich nach wie vor ein recht gespaltenes verhältnis zu meinen eltern, und möchte deshalb bei meinem kind soetwas, wenn möglich nicht wiederholen.
wir haben ihn als baby nie schreien lassen, da ich das für ihn als auch für uns als pure quälerei empfunden habe. er schläft bis heute bei uns im bett (schläft teilweise durch, teilweise wird er wach, es ist so am einfachsten) akzeptiert papa voll und mag alle großeltern, tanten und onkeln. mama und papa sind aber die wichtigsten, ist teilweise sehr anhänglich, was wir auch so akzeptieren.ansonsten ist er sehr temperamentvoll, schnell aufbrausend und fordernd, aber auch sehr lieb und schmusebedürftig.

nun frage ich mich so langsam, was aus meiner eigenen erziehung so alles auf ihn "abfärbt". ich habe mich selbst dabei erwischt, wie ich schnell laut werde, wenn er ein NEIN nicht akzeptiert, obwohl mir logisch eigentlich völlig klar ist, dass er das noch nicht umsetzten kann/will/muss.
manchmal haut er mich auch wenn er seinen willen nicht kriegt (z.b. will er an der befahrenen straße partout nicht an der hand laufen- ich nehme ihn dann nach mehrfachem: nein, lauf bitte an der hand, es ist hier zu gefährlich....usw. auf den arm und trage ihn)
jetzt ist es mir schon zwei mal passiert, dass ich davon so wütend wurde, dass ich ihm einen klapps auf den po gegeben habe. in dem moment war mir das total egal. zwei minuten später hab ich mich in grund und boden geschämt (und tue es noch), habe mich bei ihm entschuldigt und ihn getröstet (er war erst starr vor schreck und hat dann fruchtbar geweint)

ich will weder laut sein, noch will ich mein kind schlagen. ich bin komplett über mich und meine offensichtlich so kurze ausdauer was nerven angeht entsetzt. was kann ich tun, um diesen teufelskreislauf zu durchbrechen. nur mir selbst sagen: bleib ganz ruhig, reg dich nicht auf, hilft leider nicht so wirklich.

ich bin für wirklich jeden vorschlag dankbar.

jasmin
 

Blümchen

Mama Biber
AW: ich wurde erzogen- ich erziehe...mache ich die selben fehler? (LANG!)

ich will weder laut sein, noch will ich mein kind schlagen. ich bin komplett über mich und meine offensichtlich so kurze ausdauer was nerven angeht entsetzt. was kann ich tun, um diesen teufelskreislauf zu durchbrechen. nur mir selbst sagen: bleib ganz ruhig, reg dich nicht auf, hilft leider nicht so wirklich.

Nein, das hilft nicht so wirklich, das stimmt.
Schau, du wurdest selber geschlagen und es ist unheimlich schwer, nicht automatisch weiterzugeben, was man selber erlebt hat. Oft wird Gewalt von einer Generation zur nächsten weitergegeben, wenn nicht jemand innehält und ganz laut STOP sagt, weil ihm bewusst geworden ist, dass es so nicht gut ist und es andere Wege geben muss.
Der Satz 'Ein Klaps hat noch niemandem geschadet', der ist doch landläufig noch sehr häufig zu finden, ebenso Eltern, die nicht wie du sagen, hinterher, dass es ihnen leid tut, sondern eben 'Das hatte er doch verdient.'
Niemand hat aber verdient, von einem geliebten Menschen so behandelt zu werden.
Du hattest nicht verdient, dass deine Eltern dich geschlagen haben. Du hättest genauso viel Liebe verdient wie du nun deine Sohn geben willst.
Dass du selber spürst, dass du ein gespaltenes Verhältnis zu deinen Eltern hast, das zeigt, wie sehr dich ihr Verhalten geprägt und verletzt hat.
Wenn ein Mann seine Frau schlägt, dann geht mit gutem Grund ein Aufschrei durchs Volk. Aber Menschen sind wir alle, Männer, Frauen und Kinder- und nur weil Kinder jünger sind, ist es all die Jahre gebilligt gewesen, sie gewaltvoll zu behandeln.
Es ist SO gut, dass du das für euch nicht mehr möchtest.

Liest du gerne?
Ich finde ganz viele tolle Ansätze in 'Smart love' von Martha Heinemann- Piper. Auch viele Erklärungen von Situationen, in denen man leicht dazu neigt, sich vom Kind angegriffen zu fühlen (und dementsprechend über- reagiert) sind da.

Du hast einen so klaren Blick auf dein Kind, dich und das, was du für es und für euch willst. Das liest sich alles so gut und stimmig. Es wird sich ganz sicher ein Weg für euch finden. Es braucht seine Zeit. Behalte deinen positiven Blick aufs Kind bei, ebenso den kritischen Blick auf Situationen, in denen es leicht eskalieren kann. Sich gedanklich damit auseinanderzusetzen hat immer Verarbeitungscharakter und hilft, beim nächsten Mal schon weniger arg zu reagieren.

Schlussendlich machen alle Menschen im zwischenmenschlichen Umgang Fehler und verletzen andere Menschen auch. Wichtig ist ein offener Umgang, ein ehrliches Bedauern. Auch beim Zweijährigen kann man sich schon entschuldigen, wenn es die Situation so erfordert. Und das Kind lernt Authentizität und Offenheit. Und dass niemand perfekt ist, aber dass immer genug Liebe da sein wird.
 

Jordan

Familienmitglied
Gesperrt
AW: ich wurde erzogen- ich erziehe...mache ich die selben fehler? (LANG!)

Ich nehme mal schwer an, es handelt sich bei deinem Sohn um dein erstes Kind, ansonsten würdest du so jetzt gar nicht reagieren. Hör mir zu, natürlich ist unser aller Elternhaus prägend und formt uns am meisten, wenn deine Eltern dich mit Liebesewntzug und Schlägen bestraft haben, ist es schwer dir diese so bekannten Tatsachen nicht in die eigene Erziehung mit ein fließen zu lassen. Ein Kind ist nun mal ein Kind, das musst du dir immer wieder klar machen. Wenn du es anschreist oder brüllst, konzentriert es sich mehr auf den lauten Ton, fragt sich was denn jetzt los ist, was es gemacht hat usw. und so fort, und das eig. was du ihm sagen magst geht völlig an ihm vorbei und so kommt es, dass du dich wiederholen musst, was dich nur zu sätzlich reizt.
Du musst dir aber auch immer wieder darüber im Klaren sein, dass das zwar dein Kind ist, die Dinge aber vielleicht völlig anders aufnimmt und versteht als du, es tust oder aber tuen würdest. Kinder sind eben Kinder, das ist Verantwortung, das ist Drick, das bringt und treibt einen einfach manchmal an die Grenzen, da rutscht einem schlimmsten Fall auch mal die Hand aus. Das sollte nicht die Regel sein und wichtig ist es, das du das dein Kind auch wissen lässt, dich entschuldigen, kuscheln, Kussi geben, das machst du ja schon ganz richtig. Es ist einfach manchmal so das man wütend ist und dann genau so Kind ist, wie das eigentliche Kind, wenn du verstehst, was ich meine.
Aber Fakt ist, dass es im Großen und ganzen nichts damit zu tun hat ob du nun so oder so erzogen wurdest, natürlich prägt das einen und gerade dann, will man alles anders machen als die eigenen Eltern, nicht unbedingt besser, aber anders. Jeder Mensch ist anders, so oder so, zeigt doch die Anhänglichkeit deines Sohnes euch gegenüber, dass er dir nicht lange böse sein kann und du ihn auch, sonst würdest du dir gar nicht so einen Kopf machen, glaub mal nur. Und das ist das wichtigste was zählt. Aber die Erziehung deines Sohnes, die hälst du in der Hand und ich werde dir jetzt bestimmt auch nicht sagen "OMG! Dir ist da ja maaal die Hand ausgerutscht! Holt di Poliuzei!" - Nein, quatsch. Lerne einfach aus deinen "Fehlern" dann kommt alles andere schon von allein. Was passiert ist, ist passiert und mehr als dich entschuldigen oder ihm eine kleine Freude machen, kannst du nicht tun. Steiger dich da nicht all zu sehr rein, das tut keinem gut und dir schon gar nicht. Und solange du nie so blind vor Wut bist, dass du ihn ernsthaft weh tun würdest, würde ich das eher als kleine Ausrutscher werten.
Das word schon.

Alles Gute.

lg

Jordan
 
P

Paulchen

AW: ich wurde erzogen- ich erziehe...mache ich die selben fehler? (LANG!)

Ich finde es sehr schön, welche Gedanken du dir machst. Bei mir ist es ähnlich, ich wurde sehr gewalttätig erzogen, mit vielen Schlägen, Einsperren in dunkle Räume unter Treppen, nicht reden etc.

Als mein Kind kam, habe ich, wie du, angefangen, darüber nachzudenken. Ich habe eine Erziehungsberatungsstelle aufgesucht und vor einem Jahr ein Coaching begonnen, damit ich selber lerne, meine Ängste und Erfahrungen zu verarbeiten. Eine Familienaufstellung hat mir sehr geholfen.

Es gibt viele Wege, nur eins - und das hast du erkannt - ist wichtig: Wir sind die Generation, die nun entscheidet, ob es gewalttätig weitergeht oder wir unsere Kinder vor uns schützen. Da hilft nur, an uns selbst zu arbeiten.

Schlag dein Kind nie, du weisst selbst, was es aus einem macht.

Alles Gute auf deinem Weg und ich finde es wunderbar, was du schreibst.

Katja
 
P

Paulchen

AW: ich wurde erzogen- ich erziehe...mache ich die selben fehler? (LANG!)

Ach Jordan, ich hab gerade deinen Beitrag gelesen, und bin völlig konträr. Natürlich prägt es sehr, wie man aufwächst. Und obwohl mich meine Mutter mit Reitpeitschen und gefrorenen Broten auf den Kopf geschlagen hat, war ich anhänglich. Ich hatte nämlich keinen Vater und sie war meine einzige Anlaufstelle. Ein Kind hält alles aus, aber innerlich zerbricht es. Heilung unmöglich? Doch, eine Heilung ist möglich, aber die Risse bleiben für immer, schmerzen immer, noch in jedem Lebensalter, sind Stolpersteine.

Jedes Mal Schlagen ist zuviel. Jedes Mal ignorieren ist zuviel. Jedes Mal Liebesentzug ist zuviel.

Wir sind verantwortlich dafür, dass wir unseren inneren "wilden Hund", unser vernachlässigtes "inneres Kind" heilen, damit wir unseren Kindern nicht das antun, was wir erlebt haben. Stell man sich vor, dass ich noch vor wenigen Jahren gesagt habe, dass "ich es verdient hatte", weil ich ein "schwieriges Kind" war. Erst als mich der Therapeut fragte, ob mein Kind so etwas "verdienen würde", hab ich verstanden, dass ich wiederholt und verinnerlicht hatte, was meine Mutter mir aus Scham eingetrichtert hatte.

Schlagen ist kein "Ausrutscher". Es ist, jedes Mal wieder, Unterwerfung und körperliche Gewalt. Und jedes Mal geht in dem Kind etwas kaputt. Das kann man nicht schönreden. Wir sind verantwortlich, denn wir sind die Erwachsenen.
 
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Jordan

Familienmitglied
Gesperrt
AW: ich wurde erzogen- ich erziehe...mache ich die selben fehler? (LANG!)

Liebes Paulchen, ich wollte dir damit nicht zu nah treten.
Natürlich hast du Recht, das Gewalt in keiner lei Hinsicht irgendwo eine Lösung ist. Aber ich bin der Meinung, und ich spreche hier über meine Meinung, wenn du eine andere hast ist das voll und ganz in Ordnung, es gibt eine Grenze. Es gibt die Grenze zwischen generell gewaltätig und "Ausrutscher". Ich weiß nicht wie ich es anders nennen soll, tut mir sehr leid. Ich bin bei meinem alkoholabhängigen Vater und meinem älteren Bruder, der unter ADS liet, auf gewachsen. Glaub mir, ich habe oft was abbekommen und das waren nicht nur Schläge, aber darum ging's jetzt gar nicht.
Man spührt das, man spührt es wenn Eltern zu Gewalt neigen, bereit sind einem weh zu tun und man spührt wenn es eben "Ausrutscher" sind. Vielleicht hast du mich falsch verstanden, ich habe mit meinem Beitrag nicht gemeint: "Super, schlag gleich noch mal zu!" - Aber aus ihrem schreiben konnte man herauslesen, das es ihr leid tat und das sie damit kämpfte, mit ihren Gefühlen. Und dann ist das für mich "nur" ein Ausrutscher, denn es tat ihr weh, es tat ihr leid, sie hat sich entschuldigt und das wird ihr Kind schon verstanden haben. Natürlich tut es weh, aber ein "Klapps auf den Popo" ist für mich kein richtiges "schlagen". Schlagen ist für mich eine Ohrfeige, oder was weiß ich.
Natürlich sollte man Kinder nicht schlagen, aber man sollte generell einen Gang runter schalten und dann reagiert man mal über, dann brüllt man mal. Und nur weil wir die erwachsenen sind, dürfen wir keine Fehler machen? - Wir sind doch nicht 18 und damit unfehlbar, du kannst mit 40 noch genau so Kind sein, wie sonst wer. Meistens sind sogar Kinder die, die erwachsener sind, vielleicht sind "Erwachsene" distanzierter und nehmen sich generell nicht alles so zu Herzen, aber macht sie das jetzt wirklich reifer?
Natürlich ist es nicht schön, wenn man sein Kind mal schlägt, wenn einem die Hand ausrutscht. So sehe ich das. Schlagen, da sehe ich blau geprügelte Leute vor mir, das ist für mich schlagen.

Ich wollte der lieben Dame damit auch nur deutlich machen, dass sie sich nicht einen solchen Kopf machen soll. Sie ist nicht unfehlbar,du bist es nicht, ich bin es nicht. Es wird immer mal Situtationen geben, in denen wir hätten anders handeln sollen, aber wenn wir immer nur an diesen Situationen fest halten und sie bedauern, verpassen wir den Zeitpunkt in dem wir sie besser machen können, verstehst du?

Tut mir leid, falls du das falsch verstanden hast, ich bin kein Schlägertyp, da kannst du mir ehrlich glauben :)
 
P

Paulchen

AW: ich wurde erzogen- ich erziehe...mache ich die selben fehler? (LANG!)

Ich glaube auch nicht, dass du ein Schlägertyp bist, Jordan. Aber meine Meinung ist: Auch ein "Klapps" auf den Popo ist Gewalt und nicht gutzumachen. Auch nicht mit einer Entschuldigung.

Wir sind die Erwachsenen. Und zeigen die Grenzen unserer eigenen Entwicklung mit Schlägen. Dann müssen wir an UNS arbeiten, aber viele arbeiten an den Kindern. Ich bin da ganz hart. Und in erster Linie zu mir selbst.

Im Übrigen ist ein Klapps eine Verniedlichung von Schlagen. Genau wie Alkoholiker nur ein oder zwei "Bierchen" trinken gehen oder Zigarettensüchtige ein "Zigarettchen" rauchen gehen. Es geht dabei darum, keine Verantwortung übernehmen zu wollen für das was man tut. Es gibt immer Gründe, warum man so handelt wie man handelt. Aber mein Kind soll nicht darunter leiden, dass ich nicht bereit bin, mein eigenes Leid aufzuarbeiten.

Hinschauen. Ganz genau. Das ist was mich bewegt.
 

Schäfchen

Copilotin
AW: ich wurde erzogen- ich erziehe...mache ich die selben fehler? (LANG!)

Ich kenne Prügel, ich kenne eingesperrt werden, weil ich nicht aufessen wollte / unartig war. Ich bin ohne Rückenhalt von daheim aufgewachsen, als Außenseiter, mit dem Gefühl nicht gewollt gewesen zu sein ...

Wir können uns noch so viel Mühe geben, es gibt Muster aus denen wir nicht ausbrechen können und je mehr wir versuchen aus ihnen auszubrechen und die Fehler unserer Eltern nicht zumachen, desto verzwickter wird im Zweifel die Situation. Ich habe wie Katja eine Erziehungsberatungsstelle aufgesucht - leider sehr spät, als ich das Gefühl hatte alles falsch zu machen und daheim nichts mehr ging. Was ich da gelernt habe, war teilweise extrem anstrengend für mich. Denn nicht meine Art zu erziehen war das Problem sondern die Tatsache, dass ich trotz aller Bemühungen die Fehler meiner Eltern nicht zu machen in andere Muster mit gleicher Auswirkung abgedriftet bin - weil ich gar nicht anders kann, weil ich gar nichts anderes kenne. Am Ende habe ich im letzten Dreivierteljahr meine eigenen Kindheitstraumata verarbeitet und mit jedem Fortschritt dort kam ich bei den eigenen Kindern einen Schritt weiter. Ich stand mir teils selbst im Weg, musste lernen auf das innere Kind zu lauschen und ihm in manchen Situationen zu folgen und in anderen Widerstand zu leisten.

Ich habe mich oft gefragt, wieso ich da nicht vor 10 Jahren schon war ... aber es war wohl bislang einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Deiner ist jetzt schon da, die Erkenntnis, dass du in alte Muster rutscht ohne dass du dort hin willst. Das ist gut, das ist hilfreich. Wenn du es allein hinbekommst, ist es gut. Wenn du das Gefühl hast, du schaffst es nicht, such dir Hilfe. Meine Familien- und Erziehungsberaterin ist vom diakonischen Werk, die Beratung dort ist kostenlos bei uns. Man muss sich nur überwinden, hinzugehen ...

Ich habe noch einen weiten Weg vor mir, ich habe in Stressituationen wie aktuell zu wenig Kraft das Erlernte umzusetzen. Aber wir sind auf einem guten Weg. Und das macht Mut zum weitermachen.
 
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