„Komm,wir gehen zur Pockenparty“
von Wolfgang Koydl,
Süddeutsche Zeitung vom 19./20. März 05
Zuerst einmal zur Klarstellung:
Es gab die Pocken (variola), eine schwere und häufig tödlich verlaufende Infektionserkrankung, deren Verschwinden durch konsequentes Impfen einer der größten medizinischen Fortschritte bleibt. Bis zum Jahre 1969 wurde diese (Pflicht!) Impfung noch verabreicht, danach waren die Pocken weltweit ausgerottet.
Es gibt die Windpocken (Varizellen), die eine noch häufige Kinderkrankheit sind. Sie verlaufen in der Regel harmlos, die erkrankten Kinder müssen aber mindestens eine Woche öffentlichen Einrichtungen wie z.B. Kinderkrippe, Kindergarten und Schule fernbleiben. Erkrankte Erwachsene fehlen beruflich mindestens zwei bis drei Wochen.
Für alleinerziehende berufstätige Eltern mit Kindern ist diese Option also nicht gerade verlockend. Die Großeltern stehen häufig noch im Berufsleben, sind meist nicht verfügbar oder wohnen zu weit weg.
Und wie immer: Auch bei den sogenannten harmlosen Kinderkrankheiten kann es zu gefährlichen und mitunter auch lebensbedrohlichen Komplikationen kommen. Bekannt sind bei Kindern die Zerebellitis (die Hirnhautentzündung, die vorzugsweise das Kleinhirn befällt) und vor allem die durch die Windpockenerkrankung begünstigten Sekundärinfektionen (Zweiterkrankungen) wie Lungen- und Mittelohrentzündung, sowie schwere Hautinfektionen.
Eine besondere Gefahr stellen die Windpocken für das Neugeborene, für abwehrgeschwächte und chronisch erkrankte Kinder dar. Und natürlich ist die Windpockeninfektion besonders für junge Frauen gefährlich, die nicht immun sind gegen Windpocken. Hier droht bei evtl Schwangerschaft die sogenannte Varizellenembryopathie (Schädigung des Embryos durch die Windpocken).
Auch Erwachsene, die in ihrer Kindheit an Windpocken nicht erkrankten, haben diese Infektion zu fürchten: Denn es ist eine alte Erfahrung, dass Kinderkrankheiten im Erwachsenalter besonders unangenehm sind. Hier kann es immer wieder auch zu Todesfällen kommen. Haben wir Kinder- und Jugendärzte schon bei den Masernparties ungläubig den Kopf geschüttelt, so müssen wir genauso unverständlich auf die sogen. Windpockenparties reagieren. Schon allein die Argumentation, die Wildinfektion ist besser als die Kinder „mit Chemikalien vollzustopfen“, ist abenteuerlich.
Viel eher vollgestopft werden die amerikanischen Kinder mit Pizza, Cookies und Goodie Bags, so Herr Koydl in seinem Bericht. Das Problem Adipositas (Fettsucht) unserer Kinder lässt grüßen!
Und überdies wissen wir sehr wohl , dass es selbst in der Familie trotz intensiven und langandauernden Kontaktes mit einem Erkrankten eben nicht immer zur Infektion kommt.
Man soll das Schicksal also nicht unnötig herausfordern!
Von der STIKO (Ständigen Impfkommission) wird seit Juli letzten Jahres die Windpockenimpfung für alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr empfohlen. Eine Kombination mit der Masern-Mumps- Röteln- Impfung wäre ideal und ist auch vorgesehen, wenngleich noch nicht verfügbar. In den USA wird seit etwa 9 Jahren systematisch und medizinisch erfolgreich gegen die Windpocken geimpft, Japan besitzt bereits eine etwa 25- jährige positive Impferfahrung. Dabei gilt: Die Gürtelrose tritt nach Impfung deutlich seltener auf und ist auch im Verlauf gutartiger. Dieser „herpes zoster“ ist ja eine re-aktivierte örtlich begrenzte, meist gürtelförmige Hautinfektion durch das Windpockenvirus, welches zeitlebens nach überstandenen Windpocken in den Nervenzellen schlummert.
In einigen Bundesländern wird die Impfung von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt, in Bayern leider noch nicht. Hier wäre eine baldige für alle bayerischen Krankenkassen gültige Regelung sehr wünschenswert. Zumal wirtschaftliche Aspekte allemal für eine generelle Windpockenimpfung sprechen.
Dr.Th. Rautenstrauch,
Infos unter:
www.kinderaerzte-im-netz.de und
www.rki.de