Claudia Pancino (Bologna) sprach über das Thema "La relation mère-foetus entre croyances populaires et médicine scientifique". Der Glaube, daß die Schwangerschaftsgelüste der werdenden Mutter eine Wirkung auf das in ihrem Leibe entstehende Kind haben, ist ein besonderer Fall des Glaubens an die Macht der imaginatio der Schwangeren. Insbesondere unbefriedigte Gelüste, so glaubte man, hinterließen ein dauerhaftes Zeichen auf dem Körper des Kindes. Ein solches Muttermal heißt im Französischen "envie", genau wie das Gelüsten selbst. Dieser Glaube entstand im 15. Jahrhundert in Italien im Milieu der Gelehrtenkultur, verbreitete sich im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts unter den Gelehrten in ganz Europa und drang gleichzeitig in die Volkskultur vor. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich unter den Intellektuellen eine Debatte darüber, ob dieser Glaube begründet oder ein Vorurteil sei; im frühen 19. Jahrhundert war für die Gebildeten entschieden, daß es keine wissenschaftliche Grundlage für ihn gab. Nun wurde diese Vorstellung als ein volkstümlicher Aberglaube abgestempelt. Gleichzeitig verlor sie – den ethnographischen Berichten nach zu urteilen – viel von ihrem Schrecken. Unbefriedigte Gelüste einer Schwangeren drohten nicht mehr zu schweren Mißbildungen, sondern nur zu unbedeutenden Hautflecken zu führen, so der ungestillte Appetit auf Erdbeeren zu einer erdbeerförmigen Zeichnung auf der Haut des Kindes. Bis heute ist diese Vorstellung nicht ganz verschwunden; zumindest auf dem Lande hält man derlei Einflüsse der Schwangeren auf ihr Kind, wo nicht für sicher, so doch immerhin für möglich. Die über fünf Jahrhunderte hin anhaltende Debatte über die Schwangerschaftsgelüste wurde vor allem von Medizinern und Philosophen geführt. Ihr Gegenstand waren die Emotionen der Frau, die psycho-physische Einheit zwischen Frau und werdendem Kind und die Komplexität der Schwangerschaftserfahrung. – Die Diskussion betraf u. a. die Frage, inwiefern die Schwangere durch ihre imaginatio auch eine positive Macht über ihr werdendes Kind hat und ob auch dem Mann ein vergleichbarer Einfluß zugeschrieben wird. Letzteres scheint nicht grundsätzlich ausgeschlossen, meist aber nur für den Zeitpunkt der Zeugung angenommen zu werden.