Wer sagt, beim 2. Kind ist es leichter?

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andeo

Mit dem Spruch habe ich mich in meiner 2. Schwangerschaft durch die Panikattacken wegen der Geburt gerettet. Als hätte ich es schon im Gefühl gehabt. Der Doc, die Hebamme, alle Zweitgebärenden, die mir so begneten waren dieser Meinung...

Die erste Schwangerschaft mit Liann war saublöde!
Ich war so froh, schwanger zu sein.
Man hatte mir schon mit 16 Jahren erklärt, ich könnte wegen Eileiterverklebung keine Kinder bekommen, so daß ich mir schon gar keine Hoffnungen machte. Ich habe auch nie verhütet.
Mit MR.RIGHT kam nach 2 Jahren auch die Schwangerschaft.
Nach dem im 3. Monat die Morgenübelkeit nachließ, fingen unerklärliche Bauchschmerzen an. Die wurden so stark, daß ich kaum noch laufen konnte. Mein Doc hat mir im 4. Monat dann ein Berufsverbot gegeben, nachdem ich beim Einkaufen umgekippt war.
Die nächsten Monate verbrachte ich also auf dem Sofa oder in der Praxis.
In den letzten Tagen kamen Herzrasen, hoher Blutdruck und Bauchschmerzen dazu.

Lianns Geburt verlief dann ziemlich gut (im Nachhinein).
Wehen begannen genau am ET 15.07.02 in der Nacht und waren morgens um 5 bei 10 min. Ich bin nochmal in die Wanne, um zu sehen, ob sie es erst meint. Sie meinte es ernst.
Halb 7 waren wir im Krankenhaus - Wehen alle 5 Minuten.
Um 8 - jede Minute. Da dachte ich schon ans Sterben :p
Um 10 - Die Hebamme untersuchte mich, Muttermund 1cm. Meine Verzweiflung könnt Ihr Euch denken. "Das wird nix vor heute Abend, meine Liebe." Ich hätte sie umbringen können.
Mein armer Mann stand die ganze Zeit neben mir und zählte die Atempausen aus wie er es in der Geburtsvorbereitung gelernt hatte: "Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzig.... UND einundzwanzig, zwei..." Stundenlang, durch die ganze Geburt!
Halb 1 stellt die gleiche Hebamme fest - "Na schau mal an, 10 cm. Ich hole mal den Doktor und dann wird gepresst!"

Die Hebamme stach mit ihrem Finger in einer Preßwehe die Fruchblase auf und meinte: "Was ist das denn? Das Fruchtwasser ist ja grasgrün. Haben Sie übertragen?" (Nein, es war genau ET.)

10 Presswehen und Liann war da. Aber sie atmete nicht. Der Doc klopfte, aber nichts passierte. Mein Mann wurde kreidebleich. Der Doc schubste die Schwester aus dem Weg, rannte ins Nachbarzimmer, hantierte mit Absaugschläuchen rum und irgendwann kam ein klägliches "Quähä."
Als er wieder mit Liann erschien, sah man ihm an wie froh er war.
Mein Mann war fix und fertig, aber ich hatte komischerweise die ganze Zeit gedacht:"Das schafft der."
Liann mußte den Nachmittag noch im Inkubator verbringen, ich durfte sie nur kurz im Arm halten.
Als sie mich aus dem Kreißsaal fuhren, sagte ich zu meinem Mann:
"Das war die Hölle und tat sch***e weh, aber das mache ich nochmal."

Abends habe ich mein Fröschchen gestillt, nachts kam ich leider nicht mehr dazu. Meine Bauchschmerzen waren mittlerweile so stark geworden, daß keine Schmerzmittel mehr halfen.
Als ich gegen 4 Uhr immer noch rumtigerte, ging ich zum Wickelraum, weil die Schwestern gerade mit Babies hantierten, und wollte sehen, ob Liann dabei wäre. Sie hatten sie bis dahin nur mit Glukose gefüttert, weil sie wohl Unmengen grünes Fruchtwasser erbrach.
Als ich da ankam, war sie auch gerade dran neue Windeln etc. Ich sollte helfen und ... Das ist das letzte, woran ich mich erinnere:
Ich strecke meine Hand nach meinem Baby aus, dann sehe ich nur noch gelbe Ringe und nichts mehr.

Mein Gedächtnis hat folgende Szenen in den nächsten Tagen gespeichert:
1. Ich werde wach. Neben mir schreit eine alte Frau: "Laßt mich in Ruhe!" 3 grüne Männer stehen an meinem Bett. Einer fragt: "Wo genau tut Ihnen der Bauch weh?" Ich zeige es und sage: "Wo bin ich? Es geht mir gut." Mein Mann sitzt am Fußende auf einem Stuhl und weint.
2. Ich liege in einem abgedunkelten Zimmer, Kabel an mir dran, links piept es, eine Blutdruckmanschette bläst sich an meinem linken Arm auf. Mein Mann sitzt an meiner rechten Seite und hält meine Hand. Mein Schwiegervater steht am Fußende, meine Schwiegermutter beugt sich weinend über mich und flüstert:"Bitte stirb nicht."
3.Ich bin im gleichen Zimmer. Eine Schwester kommt an mein Bett, hat ein Baby auf dem Arm und sagt:"Hier ist Mama."

Meine komplette Erinnerung setzt irgendwann am 3 Tag nach der Geburt wieder ein. Ich liege auf der Intensivstation.

Passiert ist folgendes:
Ich hatte ein HELLP-Syndrom. Meine roten Blutkörperchen haben in den letzten Tagen der Schwangerschaft angefangen, sich abzubauen.
Als ich umfiel, hatte ich einen Generalkrampf.

Leider war ich in einer Klinik in der dieses Syndrom weder jemals aufgetreten, noch irgendjemandem auf der Gyn bekannt war. Also suchten sie erstmal rum, was mir überhaupt fehlt.
Mein Mann kam halb 8 quietschvergnügt ins KH, er hatte das Telefon wegen Vollrausch nicht gehört. Eine Schwester nahm ihn in den Arm und sagte:"Ihrem Kind geht es gut. Aber Ihre Frau liegt auf der Intensivstation und es sieht sehr schlecht aus."
Gegen Mittag hat der Chefarzt dann das schwere Gespräch mit ihm geführt. Wenn sie nicht bald herausbekämen, warum meine Blutkörperchen sich immer noch abbauen, würde ich die Nacht nicht überleben. Da, sagte mein Mann, hätte er zum ersten Mal zu Gott gebetet.
Am Nachmittag prüfte ein Arzt auf der Inneren meine Werte und ihm fiel ein, daß er im Studium mit den Symtomen schon mal zutun hatte.
Diesem Mann verdanke ich mein Leben.

Diese Tage liegen glücklicherweise für mich im Dunklen. Ich war wohl bei Bewußtsein, habe auch gesprochen, aber davon weiß ich gar nichts mehr.
Der Doktor meinte nachher, daß war eine normale Reaktion des Körpers an der Grenze zum Tod.

Verständlich das meine zweite ungeplante Schwangerschaft genauestens beäugt wurde. Wöchentliche Termine beim Doc, Tagebuch führen zuhause.
Wieder starke Bauchschmerzen, Schwindelgefühl monatelang. Blutungen schon in der 8. Woche - 1 Woche KH. Starke Schmerzen im 6. Monat - 1 Woche KH.
Ich bin in ein anderes KH gegangen, die Gyn, wo ich Liann entbunden hatte, war geschlossen worden. In diesem KH, nur 20km von uns, kannte man das HELLP schon lange! Der Chefarzt las meinen Mutterpass und meinte lapidar:
"An einem HELLP muß heute keine Frau mehr sterben..." Mein Mann und ich waren entsetzt.

Klar war, daß ich das Kind nicht übertragen durfte, weil die Gefahr für HELLP bei längerer Schwangerschaft immer höher wird.
1 Woche vor Termin 19.08.05 begannen die Wehen, stärker, schwächer, tagelang, nix passierte. Am 16.08.05 wurde ich ins KH eingewiesen, am 17.08.05 wurde erstmals eingeleitet.
Mein Mann und ich kämpften von 16 Uhr an bis 19.30 Uhr mit Wanne und Ball und Pipapo... 19.30 Uhr hörten die Wehen schlagartig auf und kamen nicht wieder. Ich wollte noch eine Einleitung und weiter machen.
"So, Sie legen sich jetzt schön in Ihr Bett. Morgen früh fangen wir noch mal von vorne an."
Ich habe SUPER geschlafen, kein Auge zugetan trotz Beruhigungsmittel.
Morgens halb 9 nächste Einleitung. "Es geht so gegen Mittag los."
Um 9 habe ich meinen Mann angerufen und nur noch "Komm!" rausgekriegt, da waren die Wehen schon so heftig, daß ich nicht mehr alleine über den Flur zum Kreißsaal kam.
Als mein Mann 20 Minuten später aus dem Fahrstuhl der Etage stieg, hörte er mich schon von weitem schreien.
Ich war wie von Sinnen, habe die Hebamme geschubst und angeschrien, wenn sie mich untersuchen wollte. Als ich Sven sah, hatte ich gerade eine Wehenpause und fiel ihm weinend um den Hals.
Der Chefarzt kam pünktlich zur nächsten Wehe, um festzustellen, daß die Einleitung zu stark gewesen war. Ich bekam Wehenhemmer. Nix. Ich schrie wie verrückt und hyperventilierte. Wieder Wehenhemmer. Nix. Ich schrie und schrie. Um 11 war der Muttermund 4cm.
"Sie verkrampfen sich zu sehr. Versuchen Sie lockerer zu atmen." Ich hatte ihm gerade mit Mord gedroht und der Hebamme einen blauen Fleck verpaßt.
Der Chefarzt meinte, ich sollte mir eine PDA legen lassen, weil jetzt nichts mehr zu verbessern sei.
"ICH BRAUCHE KEINE PDA! ICH SCHAFFE DAS AUCH SO!"
"Keiner ließe sich den Blinddarm ohne Narkose rausnehmen. Sie müssen das nicht ertragen. Lassen Sie sich helfen."
Halb 12 hatte er mich überzeugt.
12 Uhr wirkte sie endlich, ich konnte ein bißchen schlafen.
Die PDA ist ein Gottesgeschenk!!!
14 Uhr konnte ich pressen, aber war so geschwächt, daß ich unsere kleinste nicht herausbrachte. Die Stationsärztin kniete auf meinem Bauch und drückte ihn nach unten, Hebamme rechts und Ärztin links zogen an meinen Schultern, während ich mich an ihren Hüften abstützte. Meinen Mann, der mir bis dahin die Hand gehalten hatte, schoben sie weg. Ich mußte mich vor lauter Anstrengung übergeben. Er war auch kurz vorm umfallen.
14.32 Uhr war Nives endlich da...

Solch eine Geburt wünsche ich niemandem.
Lianns Geburt war auch schmerzhaft, aber der Schmerz ist gewachsen von Stunde zu Stunde. Ich konnte mich rein fühlen und mit atmen über Stunden.
Bei Nives kamen die Wehen von einer Sekunde zur nächsten so stark und ohne Pause, daß mein Körper und meine Seele sich darauf nicht einstellen konnten. Und zum Schluß fühlte ich mich wie auf der Schlachtbank.

Der Gedanke an eine 3. Schwangerschaft, eine 3. Geburt kommt mir manchmal. Aber nochmal möchte ich solche Situationen nicht erleben, auch wenn die Kinder die größten Wunder und zauberhaftesten Geschöpfe sind. Mein Mann lehnt jedes Gespräch über ein weiteres Kind strikt ab.

Ich freue mich für alle, die ihre Kinder ohne Probleme bekommen haben und wünsche allen, die demnächst entbinden, viel Kraft, starke Männer und kompetente Geburtshelfer. Und keine Angst, jede Geburt ist anders.
 

Elke67

Familienmitglied
Hammer. Kein Krimi hätte spannender sein können. Ich hab richtig mitgefiebert. Ich kann deinen Mann verstehen, daß er Gespräche über ein drittes Kind ablehnt. Und ich find es sagenhaft, daß du dadrüber nachdenkst. Meinen Respekt hast du.

Gruß
Elke
 

Stillmaus

Gehört zum Inventar
Wirklich toll geschrieben. :prima:
Deinen Mann verstehe ich allerdings auch, ich mag nicht daran denken, wie ihm dann nach der ersten Geburt und mit deinem Helpp-Syndrom zumute war.

Ich habe das Helpp-Syndrom schon gekannt, ein Frauenarzt aus unserer Abteilung, erzählte uns ausführlich von dem Syndrom. Hat gemeint, das ist eine ganz gefährliche Sache, wenn man es nicht entdeckt.

Finde ich gut von Dir, dass du dir wenigstens noch die Gedanken wegen einem dritten Kind machst.

Bei mir selber war die zweite Geburt schneller und leichter, wenn auch heftiger von den Schmerzen.

Ganz liebe Grüße
 
M

MeRaNa

Respekt das war ja echt der Wahnsinn das Helpp-Syndrom ahbe heute zun erstn mal davon gelesen das ist ja echt heftig,aber die hauptsache ist ja ihr habt alles gut überstanden
 
A

andeo

Ich hatte bis dahin auch nichts vom HELLP-Syndrom gehört, mein Frauenarzt witzigerweise auch nicht. Der ist aber auch schon an die 60.

Die Krankheit zu bekommen ist sogar wahrscheinlicher als z.B. ein mongoloides Kind (HELLP 150-300/1; Mong. 750-800/1).

Im Nachhinein haben wir uns natürlich sehr viel damit beschäftigt.
Bei der zweiten Schwangerschaft bin ich von einem Spezialisten zum nächsten geschickt worden, um abzuklären, ob ich das Kind austragen kann oder besser abtreiben sollte. Diese Wochen waren auch eine psychische Belastung.
Mein Mann wäre das Risiko am liebsten überhaupt nicht eingegangen und hätte sofort abgetrieben.
(Eigentlich sollte ich auch gar nicht schwanger werden... Aber das ist wieder eine Sache für ein anderes Thread.)

Ich habe ja keine Erinnerung an diese Zeit und wenn ich Liann angesehen habe, konnte ich mich nicht gegen das 2. Baby entscheiden.
Wenn der Doc gesagt hätte, es geht absolut nicht - ok. Aber nach allen Untersuchungen und mit der Maßgabe, ständig unter Kontrolle zu sein, meinten dann alle Mediziner sollte es klappen. Gott sei Dank hat es ja auch geklappt.
 
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