AW: Tag der Deutschen Einheit
Ich war 21 Jahre, als die Mauer fiel und 22 am Tag der (Wieder-)Vereinigung.
Am 9. November 1989 war ich mit Kommilitioninnen aus, wir waren Tanzen und kamen erst sehr spät in der Nacht wieder. In unserem 16-qm-Studentenzimmer, das wir zu dritt bewohnten

, gab es kein TV-Gerät. Wir waren auch zu müde, um noch mal Radio zu hören und gingen direkt ins Bett. Am nächsten Morgen beim Frühstück, wir hörten Feindsender

, kam die durchsage: "Unser Reporter XY meldet sich jetzt wieder von der Grenze". Wir sahen uns ungläubig an und meinten "Oh nein, jetzt ist irgendwas passiert." Es brodelte ja und es gab Montagsdemos und die Polizei, Armee etc. hatten Befehl, bei Bedarf zuzuschlagen. Aber nein, es war nichts Schlimmes passiert - die Grenze war offen."
Das witzige war, dass wir in genau diesem Semester mit dem Fach Betriebswirtschaftslehre begonnen haben (zur Erklärung: Ich habe in der DDR ein Ingenieurstudium absolviert, da waren BWL, Arbeitswissenschaften, Recht etc. Pflichtfächer - man sollte ja rundum informiert sein). Es wurde ganz schnell von Sozialistischer Betriebswirtschaft SBW auf BWL umgestellt

. Und ich habe gemerkt, dass die Theorie absolut gleich war, d.h. die Kennzahlen etc. Das war schon eine witzige Erkenntnis. Irgendwann hat man leider alle Leute dieses Bereichs entlassen und wir konnten das Fach nicht bis zum Ende mitmachen. Das fand ich schon sehr schade.
Den 3. Oktober 1990 habe ich mit gemischten Gefühlen erlebt. Ich war gerade zum Praktikum bei Nixdorf in Paderborn. Den 3. Oktober selbst erlebte ich aber zu Hause bei meinen Eltern. die Nacht zum 3. Oktober verbrachten wir vorm Fernseher und um 0:00 Uhr saß ich heulend auf der Couch. Mir gingen sehr viele Gedanken im Kopf herum:
- Der sog. Einigungsvertrag war sehr einseitig. Die DDR wurde quasi von der BRD übernommen.
- Warum gab es keine neue Nationalhymne? Es ist doch ein quasi neuer Staat entstanden. Ich habe selbst heute keinen Bezug zur Hymne. Warum auch? Ich habe 22 Jahre meines Lebens in der DDR verlebt und war dort nicht unbedingt unglücklich.
- Ich weine dem Staat DDR nicht nach, aber ich finde, und wurde der Übergang nicht unbedingt leicht gemacht: Es wurden Berufsabschlüsse einfach nicht anerkannt, viele bekommen immer noch weniger Gehalt, wir wurden z.T. als arbeitsscheu, faul, nicht so produktiv eingeschätzt. Halt alles so Dinge. Meine Eltern haben 30 Jahre lang als Lehrer in der DDR gearbeitet. plötzlich waren sie weniger wert als ihre Westkollegen - sie bekamen eine Tarifstufe weniger bezahlt.
- Ich habe mit meinem Studium (Informatik) mehr Chancen nach dem 3. Oktober als vorher. Ich war in Ländern, in die ich vorher nie reisen durfte. Ich hatte endlich mal was von meinen Englischkenntnissen

. Und trotzdem fühlte ich mich nach der Einheit oft bevormundet und wie ein Mensch zweiter Klasse.
Ich hätte mir die Einheit sanfter gewünscht, weniger rasant. Blühende Landschaften, wie vom dicken Kanzler versprochen, gibt es nicht. Wie war das "Keinem soll es schlechter gehen als bisher!" - War aber leider nicht so.
Bitte versteht mich nicht falsch: Ich bin nicht verbittert und genieße meine "Freiheiten" sehr, aber ich bin damals nicht in Jubelsürme ausgebrochen ;-) .