Spontane Bilderbuchgeburt im Geburtshaus

La Bimme

Leseratte
Moderatorin
Als Fridolin Jo geboren wurde



Es war warmer Dienstag abend gegen 21 Uhr, als ich wie schon die ganze vorangegangene Woche über leichte Wehen spürte. Seit Tagen schon war Schleim abgegangen, aber die Wehen hatten sich immer wieder verflüchtigt. Wieder stieg ich in die Badewanne zum Test, ob sie dann wohl verschwinden oder bleiben würden. Es wurde Mitternacht – sie blieben.
Allerdings gaben sie sich zunächst sehr moderat. Drei, vier tiefe Atemzüge, und das war’s bis zum nächsten Mal. Das jeweils nächste Mal war allerdings immer recht bald, und Liegen war doch irgendwie unbequem. Also zog ich aus auf die Couch im Balkonzimmer. Andreas schlief schon. Halb liegend, halb sitzend verschlummerte ich die Wehenpausen, die Uhr im Blick wegen der Wehenabstände. Ab wann sollte ich Katrin, die Hebamme rufen? Jetzt vielleicht, beim 5min-Abstand? Es war drei Uhr nachts. Ich zögerte und ließ den Telefonhörer dort, wo er war.
Irgendwann tauchte Andreas auf und fragte mich, was ich denn da auf der Couch mache, statt im Bett zu liegen.
Um 7 Uhr morgens fand ich, dass dies eine christliche Zeit sei, um Katrin zu benachrichtigen. Ich holte sie trotzdem aus dem Bett, und gegen 9 Uhr war sie da. Der Muttermund war 2 cm offen, und Katrin war sich sicher, dass das Kind in den nächsten 24 Stunden da sein würde. Nun ja, ich hatte alle Geduld dieser Welt. Wir vereinbarten trotzdem noch einen Termin für den nächsten Tag um 9.30 Uhr.
Der Tag verging gemächlich mit Wehen, Atmen, Pause.
Andreas verbrachte den Nachmittag damit, den geschenkten Wärmestrahler mit einem Schalter auszustatten und über dem Wickeltisch in die Wand zu dübeln, was sich bei dem alten Ding, Marke Volkseigene Werke Oranienburg, als mühselige Bastelei erwies. Es war das letzte, was unserer Meinung nach noch unbedingt vor der Geburt zu erledigen war. Gegen 18 Uhr vermeldete er: “Endlich fertig!“ Nahezu im selben Augenblick floß schon wieder etwas aus mir heraus. Aber ob das noch Schleim war...? Der Teststreifen, tiefblau, belehrte mich eines besseren: Die Fruchtblase war geplatzt und verdammte mich aufs Klo, bis ich mich mit einigen Handtüchern so weit zurechtgefummelt hatte, dass ich auf der Couch sitzen konnte, ohne diese einzuweichen. Wir riefen Katrin an, und Andreas packte noch die letzten Sachen zu den längst vorbereiteten Taschen : Schmierte Stullen, holte den Kalten Hund aus dem Kühlschrank, der dort schon seit zwei Wochen auf seinen großen Auftritt wartete, und türmte alles taxifertig zusammen.
Dem Taxifahrer, der auch als Verkäufer einer Obdachlosenzeitung durchgegangen wäre, brauchten wir den Weg zum Geburtshaus nicht lange zu erklären. Er habe mal im Kiez um den Arnimplatz im Prenzlberg gewohnt, und Freunde von ihm hätten dort auch ihr Kind bekommen, erklärte er, während ich jedes Schlagloch unauffällig abzufedern versuchte und mich innerlich mit der Frage beschäftigte, ob ich den Ledersitz wohl ohne eine Fruchtwasserpfütze hinterlassen würde.
Katrin erwartete uns schon. Der Muttermund war 6 cm offen. Wir machten ein CTG, aber die Geburt schien trotz regelmäßiger leichter Wehen noch in weiter Ferne. Wir machten es uns gemütlich, zündeten Kerzen an, und Andreas und ich gingen bei Musik erstmal zusammen in die Geburtsbadewanne, während Kathrin uns diskret alleine ließ.
Danach, so hatte sie vorgeschlagen, sollten Andreas und ich doch noch irgendwo etwas essen gehen, und vielleicht könnten wir ja anschließend sogar noch mal nach Hause fahren. Also machten wir uns zunächst mal auf den Weg durch den warmen Sommerabend. Glücklicherweise sind die Fensterbretter der Erdgeschosse im Prenzlauer Berg sehr niedrig, so daß ich mich während der Wehen unterwegs immer wieder hinsetzen konnte. Zwei Straßenecken weiter, Schivelbeiner Ecke Driesener Straße, fanden wir einen Inder, Vindravana. Es sah sehr gemütlich aus, aber zum Draußensitzen war es mir schon etwas zu kühl. Drinnen saß fast niemand. Es war ungefähr 22 Uhr. Der vermeintliche Inder entpuppte sich als multireligiös-esoterisches Lokal, und die Bedienung sah sehr deutsch aus. Von Professionalität konnte auch keine Rede sein, denn allein für die Getränke brauchte es eine Viertelstunde. Großen Hunger hatte ich nicht, im Gegenteil, und begnügte mich mit einem Süppchen. Nicht so Andreas. Das Essen dauerte noch viel länger als die Getränke, und langsam wurde ich ungeduldig, weil die Wehen stärker wurden und ich sie schon besingen mußte. In unserer Ecke hörte uns ja Gott sei Dank keiner.
Als endlich Andreas‘ Essen kam, bewahrte ich nur noch mit Mühe meine Ruhe: Ein Berg von Essen! Getrieben vom schlechten Gewissen schaufelte Andreas es so schnell wie möglich weg. Nach weiteren Ewigkeiten kam endlich auch die Rechnung, und wir machten uns im Zeitlupentempo auf den Rückweg. Auf der Sitzbank im Restaurant hinterließ ich einen Fruchtwasserfleck.

Wieder im Geburtshaus waren die Wehen in vollem Gange. Von noch mal nach Hause fahren konnte für mich jetzt nicht mehr die Rede sein. Ich wollte jetzt nichts anderes als hier bleiben und das Kind zur Welt bringen! Ich richtete mich innerlich auf eine lange Zeit schwerer Wehen ein (man hatte ja so einiges gehört), die anderen auch. Andreas versuchte zu schlummern, und Katrin verzog sich auch auf eine Mütze Schlaf. Halb liegend, halb sitzend versuchte ich mich zu entspannen. Mit den Wehen kam ich besser im Sitzen klar, entspannen konnte ich aber nur im Liegen, ständiger Positionswechsel war aber anstrengend. Keine Ahnung, ob das, was ich da machte, die berühmte, in der Schwangeren-Yoga bis zum Abwinken geübte Bauchatmung war. Mein Bauch war so hart, dass ich gar nicht spürte, wohin da die Luft ging. Hin und wieder kam Katrin mal gucken und munterte mich auf. So verging die Zeit. Es war schummrig und still, abgesehen von meiner stöhnenden Atmung.
Plötzlich gab es ein feines Brennen im Schambein. Das war neu. Ich weckte Andreas, um Katrin zu holen. Ich erinnere mich nicht mehr, wie weit offen der Muttermund da war. Mich packte jedenfalls kurz darauf der Brechreiz, und die Gemüsesuppe verließ mich wieder. Soll ja ein gutes Zeichen sein, meinte ich in einem Anflug von Galgenhumor. Katrin griente und nickte. Wenig später – Katrin hatte mich gerade in die Seitenlage genötigt – uffte sie mir plötzlich vor. Ich erinnerte mich, im Geburtsvorbereitungskurs gehört zu haben, dass dann die Übergangsphase vor den Presswehen anfängt. Was denn, jetzt schon? Also los, uffen!
Nach der nächsten Wehe spürte ich plötzlich auch schon halb überrascht, halb panisch den Pressdrang. Durfte ich denn schon? Katrin gab grünes Licht, und ich presste, was das Zeug hielt. Mir ist gar nicht mehr der Schmerz in Erinnerung, nur die Erleichterung, dass ich schreien konnte, wie ich wollte, und dass ich mal vorher gehört hatte, dass es das Kind ist, was da auf den Mastdarm drückt. Das half, loszulegen und das Kind rauszulassen.
Katrin ließ Wasser in die Badewanne.
Nach der ersten Presswehe konnte sie mich noch dazu bewegen, in den Vierfüßlerstand zu wechseln, und so bleib ich auch bis zum Schluß, die Hände auf Andreas’ Oberschenkel gestützt, von ihm unter den Achseln gehalten und den Kopf auf seiner Schulter. Die Badewanne wurde nicht mehr voll, denn nun ging alles sehr schnell.
Nach der dritten Presswehe konnte Katrin das Köpfchen schon sehen und bot mir an, doch mal nachzufühlen. Um Gottes willen, bloß nicht bewegen, bitte! Und als Motivation brauchte ich es auch nicht – ich würde es auch so schaffen, fühlte ich.
Die nächste Wehe war wesentlich heftiger. Mein einziger klarer Gedanke galt Andreas’ Trommelfell, das ich Angst hatte kaputtzuschreien, und ich drehte rücksichtsvoll meinen Kopf zur anderen Seite.
Das Köpfchen hatte es geschafft! Jetzt wollte ich doch mal fühlen. Ganz vorsichtig tasteten sich meine Finger nach unten und erreichten etwas so weiches, dass ich mich gar nicht getraute, es zu berühren, weil ich fürchtete, mit meinen Fingern in diesem Köpfchen zu versinken. Zaghaft streichelte ich ein paar Härchen.. Andreas wollte offenbar auch und ließ mich mit einem Arm los. War er verrückt geworden? „Halt mich fest!“ schrie ich, und dann kam die letzte Wehe.
Es fühlte sich an, als ob das Köpfchen wieder zurückgeflutscht wäre, aber den Bruchteil eines Sekunde später setzte mein Verstand ein und sagte mir dass das gar nicht sein konnte. Das ganze Kindchen hatte sich mit einem kleinen Quietscher seinen Weg nach draußen gebahnt. Es war 2.04 Uhr nachts am 23. August 2001.

Ich setzte mich zurück, und da lag es ganz still zwischen meinen Beinen, blutverschmiert und irgendwie an einen Außerirdischen erinnernd, wie er vorsichtig aus seinen Augenschlitzen plinkerte..
Ich wollte es am liebsten erst mal einfach nur anschauen, und vorsichtig trockneten wir es mit einem Handtuch ab. Erst Minuten später erst fiel mein Blick zwischen die Beinchen, wo etwas dickes fleischfarbenes herumlag. Aha, ein Junge. Hallo Fridolin!
Andreas durchtrennte unter Katrins Anleitung die Nabelschnur und nahm Fridolin in den Arm, während ich noch mit der Nachgeburt beschäftigt war. Nach einer halben Stunde wollte ich ihn endlich auch. Er kaute schon auf seinem Händchen herum, und ich legte ihn an, dieses winzige Kerlchen, das da so klein und schutzbedürftig in meinem Arm lag. Mein Gott, machte ich auch alles richtig, mit dem Anlegen und so?
Irgendwie waren wir dann alle schlafreif. Fridolin, noch in sein Baby-Badetuch gewickelt, schlief zwischen Andreas und mir seinen ersten Schlaf auf Erden.

Der Morgen war die reine Gemütlichkeit. Ich war wach, seit Fridolin im Schlaf wieder herumgeschnabbelt hatte. Ich hatte ihn wieder angelegt, aber er wollte gar nicht trinken. Aha, erste Lektion gelernt: Man reiße nie ein Kind aus dem Schlaf.
Es war gegen 8 Uhr, glaube ich, als wir endlich aufstanden. Katrin musste das Zimmer aufräumen und sich auf ihre nächsten Termine vorbereiten. Nun ja, zumindest der um 9.30 hatte sich ja nun erledigt. Wir frühstückten Kalten Hund, als astrologiekundige Bekannte aus dem Geburtsvorbereitungskurs hereinschneiten, deren Kind schon überfällig war. So wurden wir gleich darüber unterrichtet, dass Fridolin auf die letzte Stunde noch ein Löwe geworden war. Eine Stunde später hätte das Sternzeichen zur Jungfrau gewechselt.
Es wurde Zeit, nach Hause zu fahren. Die letzten Humpelschritte auf dem Weg ins Wochenbett. Der Taxifahrer war diesmal ein Afrikaner, der uns von seinen eigenen drei Kindern erzählte. Er entließ uns vor der Haustür in einen sonnigen Sommertag und in die nun kommende Elternschaft hinein.
 

Petra

desperate housewife
:-( :-( :-( :-( :-( Suuuperschön geschrieben *schnüüüüüüüüf*
So hätte ich mir das auch vorgestellt.................... :-(
 

Vanessa

Gehört zum Inventar
Herzlichen Glückwunsch, sehr erheiternd geschrieben. Vor allem die Geschichte mit dem "indischen" Restaurant. Passagen erinnern mich auch an die Geburt von Boubakar, ebenfalls in einem Geburtshaus. Wenn ich Zeit habe, werde ich meinen Bericht auch schreiben. Boubakar ist übrigens auch ein Löwe!
Liebe Grüße,
Vanessa
 

La Bimme

Leseratte
Moderatorin
Diesen Pseudo-Inder gibt's leider nicht mehr - mich wundert's ja nicht. Aber schade trotzdem. Da können wir Fridolin gar nicht zeigen, wo er seine ersten dauerhaften Spuren auf dieser Welt hinterlassen hat, und sei es nur als Fruchtwasserfleck.
 
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