S
Saschi
Bens Geburt war anders. So unterschiedlich, wie die Charaktere der Kinder sein werden, so unterschiedlich, wie ich die Schwangerschaften empfunden habe, so unterschieden sich auch diese beiden Geburten grundlegend voneinander - jede war schön und einzigartig, jede hatte aber auch ihre dramatischen Momente.
Um nachvollziehen zu können, wie unser Weg uns zur Hausgeburt geführt hat, gehört die Geschichte um Maltes Geburt eigentlich einleitend dazu. Sie ist unten nachzulesen.
Aber nun zu Ben. Während ich in der ersten Schwangerschaft noch jedes Wehwehchen registrierte und jede spürbare Bewegung meines Bauchbewohners als abstrakt empfand, ihn scherzhaft auch "mein kleines Alien" nannte, und mir einfach noch überhaupt nicht vorstellen konnte, was (oder wer) da auf mich zukommen würde, habe ich diese zweite Schwangerschaft, je weiter sie fortschritt, mehr und mehr bewusst genossen.
Während ich Malte erst ab der 21. SSW bewusst spürte, konnte ich die Bewegungen seines kleinen Bruders schon in der 17.SSW eindeutig wahrnehmen. Und obwohl ich vorzeitige Wehen hatte, in der 30.SSW Wasser bekam und meine Frauenärztin mir dringend zu einer letzten Ultraschall-Gewichtsschätzung in der 36. SSW riet, weil "der Kopf aber schon sehr groß sei, und man vielleicht mal schauen sollte, was da auf die Hebamme (!) unter der geplanten Hausgeburt zukäme", ließ ich mich nicht groß verunsichern und vertraute auf den Rat meiner Hebamme Corinna, die uns schon bei Maltes Geburt im Geburtshaus Düsseldorf so wunderbare Dienste geleistet hatte.
Die einzige Unsicherheit in dieser Schwangerschaft war die Tatsache, dass Corinna bis zehn Tagen vor Termin in Indien war, und ich fünf Wochen von ihrer Kollegin Sabine betreut wurde. Ich hatte schon ein bisschen Sorge, dass unser zweiter Sohn vielleicht zu früh kommen könnte, denn auch wenn Sabine mir sympathisch war und ich es nicht als dramatisch empfunden hätte, mit ihr unser Baby zu bekommen, so sehnte ich mir doch Corinna als Geburtsbegleiterin herbei.
Ich hatte also scherzhaft gesagt, dass ich bis zu ihrer Rückkehr am 23. Mai "zusammenkneifen" würde. Der errechnete Termin war der 2. Juni.
Und so kam es dann auch.
Am Montag, den 26., meldete Corinna sich offiziell bei mir zurück. Sie hatte ihren Jetlag ausgeschlafen, war fit und freute sich, dass wir auf sie gewartet hatten. Für Mittwoch machten wir einen Vorsorgetermin aus. Am Dienstag bekam ich nach einem Tag im Park mit Freunden und Kindern abends geburtsverdächtige Wehen. Erst dachte ich, es seien Senkwehen, denn besonders tief war mein Bauch noch nicht, aber dann musste ich auch einige veratmen, und ich rief Corinna an. Sie kam, um mich zu untersuchen. Der Muttermund war zwei Zentimeter auf, butterweich, der Gebärmutterhals verstrichen, ich hatte auch schon etwas vom Schleimpfropf verloren, ich war also geburtsbereit. Ein schöner Befund.
Corinna fuhr wieder und hielt sich bereit. Alex rief Gabi an, Maltes Patin, die sich unter der Geburt um Malte kümmern wollte. Der bekam natürlich mit, dass irgendwas aufregendes passieren sollte und wich kaum von meiner Seite. Als er ins Bett sollte, musste ich ihn bringen und ihm, zwischendurch wehenveratmend, Gesellschaft leisten bis er eingeschlafen war. Alex und Gabi hatten keine Chance, ihn zu beruhigen. Den Abend über guckten wir "Notting Hill" und ich veratmete kontinuierliche Wehen in zehnminütigen Abständen. Sie wurden nicht stärker, die Wehenpausen wurden nicht kürzer. Irgendwann gegen elf ließ ich mir Wasser in die Wanne - und die Wehen verschwanden im warmen Wasser.
Ich war einigermaßen frustriert. Es hatte so vielversprechend angefangen. Ich schickte Corinna eine sms über den Stand der Dinge und dass wir nun versuchen würden, zu schlafen. Gabi schlief bei Malte für den Fall, dass es doch noch losgehen sollte. Wir hatten unser Bett schon für die mögliche Geburt mit Folie zwischen zwei Laken vorbereitet, was sich als Fehler herausstellen sollte. Wir schwitzten uns einen Wolf...
Am Morgen erwachten wir gerädert und - ohne nennenswerte Wehen. Ich war enttäuscht und kam mir auch irgendwie blöd vor, weil wir Gabi extra gerufen hatten und wir in diesem präparierten Bett geschlafen hatten. Alex und Gabi fuhren zur Arbeit, und ich äußerte in unserem Schwangerschaftsforum meinen Unmut über die vergangenen Ereignisse.
Bis zu diesem Zeitpunkt war ich immer davon ausgegangen, dass die Geburt erst nach dem errechneten Termin beginnen würde und war entsprechend gelassen. Doch nach diesem Fehlalarm war ich dann doch angespitzt und wünschte mir die Geburt herbei. Corinna kam Mittags zu unserem VU-Termin, untersuchte mich aber nicht vaginal, da sie davon ausging, dass der Muttermund wahrscheinlich noch etwas aufgegangen sei, so etwa auf drei Zentimeter vielleicht. Dass das aber eigentlich nichts ändern würde. Für den Fall, dass sich aber erst mal nichts weiter tun würde, verabredeten wir uns für Montag im Geburtshaus, um noch mal ein CTG zu schreiben.
Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.
Nicht lange nach ihrem Besuch bekam ich wieder Wehen, ähnlich wie am Vortag. Ich lief noch etwas zweifelnd herum und wollte nicht wieder alle Pferde scheu machen, aber irgendwann fühlte ich mich veranlasst, Alex Bescheid zu geben, der eigentlich heute Termine außerhalb hatte, und ich schickte Gabi eine sms mit der Bitte, Malte nach Feierabend abzuholen. Meine Ma kam ebenfalls, sie hatte schon etwas zu essen vorbereitet und blieb bei mir, bis die anderen kamen, dann fuhr sie wieder nach Hause, um noch eine Suppe vorzubereiten, die ich mir als Stärkung fürs Wochenbett gewünscht hatte.
Ich lief dann befreit durch die Wohnung, als alle außer Alex weg waren. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, mich wegen Malte zurückhalten zu müssen, oder dass jemand darauf wartete, dass etwas passierte. Alle waren versorgt und Alex und ich waren zu Hause und konnten zwischen den Wehen quasi dem Tagesgeschehen nachgehen. Die Wehen waren denen des Vortages identisch. Zehnminütige Abstände, nur ein ganz leichter kontinuierlicher Anstieg. Ich konnte sie gut veratmen, war in den Pausen ganz entspannt und war wieder ein bisschen enttäuscht darüber, dass sich nicht wirklich etwas änderte. Ich dachte die ganze Zeit, dass diese Wehen "nichts taten", sie erschienen mir nicht effektiv. Ich wartete auf die Wehen, die ich unter Maltes Geburt hatte. Ich hatte sie schmerzhafter in Erinnerung, weniger kontrollierbar, aber nichts dergleichen passierte. Ich schickte Corinna wieder eine sms: "Wehe seit Du weg bist zehnminütig vor mich hin, nichts tut sich, was kann ich tun?!" Corinna rief mich an und beruhigte mich. Sie sei sicher, dass diese Wehen etwas "konnten", und dass ich nicht so ungeduldig sein solle. Sie stellte sich darauf ein, dass sich in dieser Nacht etwas tun würde. Ich rief meine Ma an, die sich dann auch wieder auf den Weg machte - mit der Wöchnerinnensuppe im Gepäck.
Als sie gegen 21 Uhr kam, ließ ich gerade Wasser in die Badewanne ein. Ich hatte beschlossen, dem "uneffektiven" Gewehe endlich ein Ende zu machen und dachte mir, wenn es wieder ein Fehlalarm ist, dann können wir wenigstens noch mal eine Nacht richtig schlafen. Bevor ich in die Wanne stieg, kam allerdings noch eine recht kräftige Wehe, die ich zwar immer noch locker veratmen konnte, aber die mich hoffen ließ. Genug, um Alex zu bitten, Corinna anzurufen und herzubestellen. Ich legte mich in die Wanne und empfing die erste Wehe im Wasser, sie war der vorangegangenen ähnlich. Doch schon die nächste sackte ab... ich war schon wieder enttäuscht und dachte an einen weiteren Fehlalarm.
Ich war etwas überrascht, als Corinna nur wenigen Minuten nach dem Anruf eintraf. Sie wohnte zwar um die Ecke, aber ich hatte erwartet, dass sie sich mehr Zeit ließ. Als ich meine Bedenken wegen eines möglichen Fehlalarms äußerte, lächelte sie. Sie sah aus als wüsste sie etwas, was ich nicht wusste... Nach einer wieder etwas intensiveren Wehe, die ich ruhig veratmete, untersuchte sie mich. Ich erwartete einen Befund von 3-4 Zentimetern. Dass ihre tatsächliche vorsichtige Diagnose 7-8 Zentimeter sogar untertrieben war, verriet sie mir erst nach der Geburt...
Ich war natürlich hocherfreut, damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Und nun dauerte es auch nicht mehr lange, bis ich die Wehen mit Tönen veratmete. Ich wundere mich bis heute, wo diese Töne herkamen. Ich hatte bei der letzten Geburt doch eher geschrieen, und diesmal war es tatsächlich so, dass ich eine bestimmte Frequenz traf, die die stärker werdenden Schmerzen erträglich machten. Zumindest teilweise - irgendwann traf ich diese Frequenz dann auch nicht mehr so richtig...
Corinna wehte mit. Bei jeder Wehe half sie mir mit ihrer ruhigen, sanften und eindringlichen Stimme meinen Ton zu finden, meine Atmung zu kontrollieren. Manchmal fingen mir die Finger an zu kribbeln, dann hatte ich zu tief eingeatmet, zuviel C02 im Blut. Dann sollte ich aus den Händen atmen, davon ging das Kribbeln wieder weg.
In den Wehenpausen war ich noch immer gut drauf. Als die herbeigerufene Sabine kam, grinste ich sie an und schickte ihr ein Peace-Zeichen. Alex saß fast die ganze Zeit auf dem Badewannenrand und streichelte mein Bein. Solange ich noch so guter Dinge war, flachste er herum. Aber auch er wurde merklich zurückhaltender. So langsam wurde ich wieder ungeduldig. Ich hatte das Gefühl für Zeit verloren und schimpfte, warum die Babys bei anderen Frauen "einfach so" herausflutschten, und nur ich immer so "lange" arbeiten musste. Dass dies zur allgemeinen Erheiterung beitrug (denn es war wirklich noch nicht viel Zeit vergangen), registrierte ich nicht mehr. Ich wurde in jeder Wehe lauter und fühlte, wie mein Bauch oben verschwand und der Kleine immer tiefer ins Becken rutschte. Ich fand jede Wehe inzwischen grässlich und das war auch unüberhörbar. Trotzdem war ich noch klar genug, um in den Wehenpausen darüber nachzudenken, ob mein Gewehe Gegenstand der nächsten Hausversammlung sein würde...
Corinna schlug mir vor, einen Teil der Kraft zu nutzen und nach vorne zu schieben. Ich hielt also in der nächsten Wehe mal zaghaft die Luft an und schob. Aber so richtig traute ich mich nicht. In den nächsten Wehen wurde ich mal mutiger, aber den Druck nach vorne fand ich wirklich ausgesprochen garstig, und eigentlich hatte ich auch keine Lust mehr. Ich kommentierte das in den Pausen damit, dass ich es mir anders überlegt hätte und eigentlich kein Kind mehr wolle...
Hinzu kam, dass die Luft in unserem kleinen Bad zum Schneiden dick war. Die Heizung war an, Alex hatte immer mal warmes Wasser nachgefüllt, und neben Corinna und ihm hielten sich ja auch Sabine und meine Ma immer mal wieder im Raum auf. Das alles wurde mir plötzlich bewusst, als ich merkte, dass ich keine Luft mehr bekam. Ich hatte das Gefühl, es drückt etwas auf meinen Brustkorb. Außerdem wurde ich in den Wehenpausen jetzt langsam wirklich weinerlich - und äußerte meine Angst vor den zu erwartenden Presswehen. Ich überlegte, ob ich nicht doch lieber aus der Wanne raus sollte, ich überlegte, ob ich überhaupt genug Platz hatte, ob ich die Kraft, den Halt haben würde, nach vorne zu schieben, mir fielen 1000 Sachen ein, warum ich jetzt plötzlich aus der Wanne raus wollte.
Corinna gab mir daraufhin ein paar Globuli, ich tippte auf Pulsatilla, aber später sagte sie mir, dass es Aconit war: Alle meine Äußerungen deuteten auf Angst, Panik, weglaufen hin. Ich weiß nicht, ob es die Globulis waren, die mir halfen, oder der Traubenzucker, der mir jetzt gereicht wurde, oder Corinnas ruhige Worte, dass ich gerne aus der Wanne aussteigen dürfe und wir es im Bett weiterversuchen könnten. Aber irgendwas in mir wurde wieder klarer: Und ziemlich wütend. Ich dachte mir nur noch: Schei***, wir können hier jetzt noch ne Stunde so weitermachen, und es wird keinen Milimeter besser, oder ich trau mich jetzt endlich, dieses Kind da durchzuschieben... und dann rollte auch schon eine Presswehe heran.
Ich drückte und schrie und spürte, wie der Kopf sich in den Geburtskanal schob, dachte: Ach Du schei***!!!! Und ließ wieder los. Der Kopf rutschte wieder zurück, die Wehe war weg, und ich heulte: "Oh Mann, jetzt ist er wieder zurückgerutscht!"
Ich weiß nicht mehr, ob Corinna daraufhin was gesagt hat, denn die nächste Wehe kam schon und ich nahm all meinen Mut - und meine Wut - zusammen und schob nach vorn. Ich denke, spätestens jetzt wusste die gesamte Nachbarschaft von der bevorstehenden Ankunft unseres Sohnes...
Der Kopf rutschte durch den Geburtskanal, kurz nachdem Corinna Sabine um dieses Ding bat, mit dem man die Fruchtblase sprengte. Corinna beugte sich über die Wanne und sagte: "So, komm, jetzt noch mal mit Kraft für die Schultern!" Ich dachte, ich müsste auf eine Wehe warten, aber ich war mir auch nicht mehr sicher, ob ich nicht in einer Wehe war, ich drückte einfach und fühlte, wie der ganze Ben endlich aus mir herausrutschte. Es war 23.20 Uhr.
Ich war fast sofort wieder klar. In einer Welle der Erleichterung, dem Wissen, es geschafft zu haben, der automatischen Ausschüttung von Endorphinen (das hat die Natur sich fein ausgedacht...) hatte ich fast sofort wieder einen klaren Kopf und freute mich, unseren kleinen blauen Ben auf die Brust gelegt zu bekommen, der nach und nach anfing, seine Lungen freizuschnaufen...
Überflüssig zu sagen, wie glücklich alle waren.
Ben war mit der "Glückshaube" geboren worden, das heißt, die Fruchtblase war nicht gerissen, Corinna hatte ihn unter Wasser davon befreien müssen. Das war auch der Grund für das Aktionstempo - normalerweise hätte Ben noch etwas schwimmen dürfen, aber von der Fruchtblase musste Corinna ihn schnell befreien.
Die Plazenta habe ich dann im Bett geboren, völlig problemlos. Im Bett wurde ich auch versorgt, Corinna nähte den Dammriss, kein neuer, die Naht vom letzten war aufgegangen wie eine Sollbruchstelle. Die Versorgung diesmal war ein Spaziergang zur letzten, die mir sehr unangenehm in Erinnerung blieb.
Und Ben wurde auch hier zum ersten Mal vermessen: 53cm, 4100gr, Kopfumfang 36cm. Agpar 9/10/10.
Es war sehr schön, meine Ma dabei zu wissen, die meine eigene Geburt nicht in guter Erinnerung hatte. Alex war diesmal mehr stiller Begleiter und Beobachter. In der Wanne hatte mir eigentlich niemand viel helfen müssen, die Wanne ist ein Geburtsort für einen "Alleingang".
Trotzdem hätte ich ihn nicht missen wollen - nicht eine Minute.
Um nachvollziehen zu können, wie unser Weg uns zur Hausgeburt geführt hat, gehört die Geschichte um Maltes Geburt eigentlich einleitend dazu. Sie ist unten nachzulesen.
Aber nun zu Ben. Während ich in der ersten Schwangerschaft noch jedes Wehwehchen registrierte und jede spürbare Bewegung meines Bauchbewohners als abstrakt empfand, ihn scherzhaft auch "mein kleines Alien" nannte, und mir einfach noch überhaupt nicht vorstellen konnte, was (oder wer) da auf mich zukommen würde, habe ich diese zweite Schwangerschaft, je weiter sie fortschritt, mehr und mehr bewusst genossen.
Während ich Malte erst ab der 21. SSW bewusst spürte, konnte ich die Bewegungen seines kleinen Bruders schon in der 17.SSW eindeutig wahrnehmen. Und obwohl ich vorzeitige Wehen hatte, in der 30.SSW Wasser bekam und meine Frauenärztin mir dringend zu einer letzten Ultraschall-Gewichtsschätzung in der 36. SSW riet, weil "der Kopf aber schon sehr groß sei, und man vielleicht mal schauen sollte, was da auf die Hebamme (!) unter der geplanten Hausgeburt zukäme", ließ ich mich nicht groß verunsichern und vertraute auf den Rat meiner Hebamme Corinna, die uns schon bei Maltes Geburt im Geburtshaus Düsseldorf so wunderbare Dienste geleistet hatte.
Die einzige Unsicherheit in dieser Schwangerschaft war die Tatsache, dass Corinna bis zehn Tagen vor Termin in Indien war, und ich fünf Wochen von ihrer Kollegin Sabine betreut wurde. Ich hatte schon ein bisschen Sorge, dass unser zweiter Sohn vielleicht zu früh kommen könnte, denn auch wenn Sabine mir sympathisch war und ich es nicht als dramatisch empfunden hätte, mit ihr unser Baby zu bekommen, so sehnte ich mir doch Corinna als Geburtsbegleiterin herbei.
Ich hatte also scherzhaft gesagt, dass ich bis zu ihrer Rückkehr am 23. Mai "zusammenkneifen" würde. Der errechnete Termin war der 2. Juni.
Und so kam es dann auch.
Am Montag, den 26., meldete Corinna sich offiziell bei mir zurück. Sie hatte ihren Jetlag ausgeschlafen, war fit und freute sich, dass wir auf sie gewartet hatten. Für Mittwoch machten wir einen Vorsorgetermin aus. Am Dienstag bekam ich nach einem Tag im Park mit Freunden und Kindern abends geburtsverdächtige Wehen. Erst dachte ich, es seien Senkwehen, denn besonders tief war mein Bauch noch nicht, aber dann musste ich auch einige veratmen, und ich rief Corinna an. Sie kam, um mich zu untersuchen. Der Muttermund war zwei Zentimeter auf, butterweich, der Gebärmutterhals verstrichen, ich hatte auch schon etwas vom Schleimpfropf verloren, ich war also geburtsbereit. Ein schöner Befund.
Corinna fuhr wieder und hielt sich bereit. Alex rief Gabi an, Maltes Patin, die sich unter der Geburt um Malte kümmern wollte. Der bekam natürlich mit, dass irgendwas aufregendes passieren sollte und wich kaum von meiner Seite. Als er ins Bett sollte, musste ich ihn bringen und ihm, zwischendurch wehenveratmend, Gesellschaft leisten bis er eingeschlafen war. Alex und Gabi hatten keine Chance, ihn zu beruhigen. Den Abend über guckten wir "Notting Hill" und ich veratmete kontinuierliche Wehen in zehnminütigen Abständen. Sie wurden nicht stärker, die Wehenpausen wurden nicht kürzer. Irgendwann gegen elf ließ ich mir Wasser in die Wanne - und die Wehen verschwanden im warmen Wasser.
Ich war einigermaßen frustriert. Es hatte so vielversprechend angefangen. Ich schickte Corinna eine sms über den Stand der Dinge und dass wir nun versuchen würden, zu schlafen. Gabi schlief bei Malte für den Fall, dass es doch noch losgehen sollte. Wir hatten unser Bett schon für die mögliche Geburt mit Folie zwischen zwei Laken vorbereitet, was sich als Fehler herausstellen sollte. Wir schwitzten uns einen Wolf...
Am Morgen erwachten wir gerädert und - ohne nennenswerte Wehen. Ich war enttäuscht und kam mir auch irgendwie blöd vor, weil wir Gabi extra gerufen hatten und wir in diesem präparierten Bett geschlafen hatten. Alex und Gabi fuhren zur Arbeit, und ich äußerte in unserem Schwangerschaftsforum meinen Unmut über die vergangenen Ereignisse.
Bis zu diesem Zeitpunkt war ich immer davon ausgegangen, dass die Geburt erst nach dem errechneten Termin beginnen würde und war entsprechend gelassen. Doch nach diesem Fehlalarm war ich dann doch angespitzt und wünschte mir die Geburt herbei. Corinna kam Mittags zu unserem VU-Termin, untersuchte mich aber nicht vaginal, da sie davon ausging, dass der Muttermund wahrscheinlich noch etwas aufgegangen sei, so etwa auf drei Zentimeter vielleicht. Dass das aber eigentlich nichts ändern würde. Für den Fall, dass sich aber erst mal nichts weiter tun würde, verabredeten wir uns für Montag im Geburtshaus, um noch mal ein CTG zu schreiben.
Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.
Nicht lange nach ihrem Besuch bekam ich wieder Wehen, ähnlich wie am Vortag. Ich lief noch etwas zweifelnd herum und wollte nicht wieder alle Pferde scheu machen, aber irgendwann fühlte ich mich veranlasst, Alex Bescheid zu geben, der eigentlich heute Termine außerhalb hatte, und ich schickte Gabi eine sms mit der Bitte, Malte nach Feierabend abzuholen. Meine Ma kam ebenfalls, sie hatte schon etwas zu essen vorbereitet und blieb bei mir, bis die anderen kamen, dann fuhr sie wieder nach Hause, um noch eine Suppe vorzubereiten, die ich mir als Stärkung fürs Wochenbett gewünscht hatte.
Ich lief dann befreit durch die Wohnung, als alle außer Alex weg waren. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, mich wegen Malte zurückhalten zu müssen, oder dass jemand darauf wartete, dass etwas passierte. Alle waren versorgt und Alex und ich waren zu Hause und konnten zwischen den Wehen quasi dem Tagesgeschehen nachgehen. Die Wehen waren denen des Vortages identisch. Zehnminütige Abstände, nur ein ganz leichter kontinuierlicher Anstieg. Ich konnte sie gut veratmen, war in den Pausen ganz entspannt und war wieder ein bisschen enttäuscht darüber, dass sich nicht wirklich etwas änderte. Ich dachte die ganze Zeit, dass diese Wehen "nichts taten", sie erschienen mir nicht effektiv. Ich wartete auf die Wehen, die ich unter Maltes Geburt hatte. Ich hatte sie schmerzhafter in Erinnerung, weniger kontrollierbar, aber nichts dergleichen passierte. Ich schickte Corinna wieder eine sms: "Wehe seit Du weg bist zehnminütig vor mich hin, nichts tut sich, was kann ich tun?!" Corinna rief mich an und beruhigte mich. Sie sei sicher, dass diese Wehen etwas "konnten", und dass ich nicht so ungeduldig sein solle. Sie stellte sich darauf ein, dass sich in dieser Nacht etwas tun würde. Ich rief meine Ma an, die sich dann auch wieder auf den Weg machte - mit der Wöchnerinnensuppe im Gepäck.
Als sie gegen 21 Uhr kam, ließ ich gerade Wasser in die Badewanne ein. Ich hatte beschlossen, dem "uneffektiven" Gewehe endlich ein Ende zu machen und dachte mir, wenn es wieder ein Fehlalarm ist, dann können wir wenigstens noch mal eine Nacht richtig schlafen. Bevor ich in die Wanne stieg, kam allerdings noch eine recht kräftige Wehe, die ich zwar immer noch locker veratmen konnte, aber die mich hoffen ließ. Genug, um Alex zu bitten, Corinna anzurufen und herzubestellen. Ich legte mich in die Wanne und empfing die erste Wehe im Wasser, sie war der vorangegangenen ähnlich. Doch schon die nächste sackte ab... ich war schon wieder enttäuscht und dachte an einen weiteren Fehlalarm.
Ich war etwas überrascht, als Corinna nur wenigen Minuten nach dem Anruf eintraf. Sie wohnte zwar um die Ecke, aber ich hatte erwartet, dass sie sich mehr Zeit ließ. Als ich meine Bedenken wegen eines möglichen Fehlalarms äußerte, lächelte sie. Sie sah aus als wüsste sie etwas, was ich nicht wusste... Nach einer wieder etwas intensiveren Wehe, die ich ruhig veratmete, untersuchte sie mich. Ich erwartete einen Befund von 3-4 Zentimetern. Dass ihre tatsächliche vorsichtige Diagnose 7-8 Zentimeter sogar untertrieben war, verriet sie mir erst nach der Geburt...
Ich war natürlich hocherfreut, damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Und nun dauerte es auch nicht mehr lange, bis ich die Wehen mit Tönen veratmete. Ich wundere mich bis heute, wo diese Töne herkamen. Ich hatte bei der letzten Geburt doch eher geschrieen, und diesmal war es tatsächlich so, dass ich eine bestimmte Frequenz traf, die die stärker werdenden Schmerzen erträglich machten. Zumindest teilweise - irgendwann traf ich diese Frequenz dann auch nicht mehr so richtig...
Corinna wehte mit. Bei jeder Wehe half sie mir mit ihrer ruhigen, sanften und eindringlichen Stimme meinen Ton zu finden, meine Atmung zu kontrollieren. Manchmal fingen mir die Finger an zu kribbeln, dann hatte ich zu tief eingeatmet, zuviel C02 im Blut. Dann sollte ich aus den Händen atmen, davon ging das Kribbeln wieder weg.
In den Wehenpausen war ich noch immer gut drauf. Als die herbeigerufene Sabine kam, grinste ich sie an und schickte ihr ein Peace-Zeichen. Alex saß fast die ganze Zeit auf dem Badewannenrand und streichelte mein Bein. Solange ich noch so guter Dinge war, flachste er herum. Aber auch er wurde merklich zurückhaltender. So langsam wurde ich wieder ungeduldig. Ich hatte das Gefühl für Zeit verloren und schimpfte, warum die Babys bei anderen Frauen "einfach so" herausflutschten, und nur ich immer so "lange" arbeiten musste. Dass dies zur allgemeinen Erheiterung beitrug (denn es war wirklich noch nicht viel Zeit vergangen), registrierte ich nicht mehr. Ich wurde in jeder Wehe lauter und fühlte, wie mein Bauch oben verschwand und der Kleine immer tiefer ins Becken rutschte. Ich fand jede Wehe inzwischen grässlich und das war auch unüberhörbar. Trotzdem war ich noch klar genug, um in den Wehenpausen darüber nachzudenken, ob mein Gewehe Gegenstand der nächsten Hausversammlung sein würde...
Corinna schlug mir vor, einen Teil der Kraft zu nutzen und nach vorne zu schieben. Ich hielt also in der nächsten Wehe mal zaghaft die Luft an und schob. Aber so richtig traute ich mich nicht. In den nächsten Wehen wurde ich mal mutiger, aber den Druck nach vorne fand ich wirklich ausgesprochen garstig, und eigentlich hatte ich auch keine Lust mehr. Ich kommentierte das in den Pausen damit, dass ich es mir anders überlegt hätte und eigentlich kein Kind mehr wolle...
Hinzu kam, dass die Luft in unserem kleinen Bad zum Schneiden dick war. Die Heizung war an, Alex hatte immer mal warmes Wasser nachgefüllt, und neben Corinna und ihm hielten sich ja auch Sabine und meine Ma immer mal wieder im Raum auf. Das alles wurde mir plötzlich bewusst, als ich merkte, dass ich keine Luft mehr bekam. Ich hatte das Gefühl, es drückt etwas auf meinen Brustkorb. Außerdem wurde ich in den Wehenpausen jetzt langsam wirklich weinerlich - und äußerte meine Angst vor den zu erwartenden Presswehen. Ich überlegte, ob ich nicht doch lieber aus der Wanne raus sollte, ich überlegte, ob ich überhaupt genug Platz hatte, ob ich die Kraft, den Halt haben würde, nach vorne zu schieben, mir fielen 1000 Sachen ein, warum ich jetzt plötzlich aus der Wanne raus wollte.
Corinna gab mir daraufhin ein paar Globuli, ich tippte auf Pulsatilla, aber später sagte sie mir, dass es Aconit war: Alle meine Äußerungen deuteten auf Angst, Panik, weglaufen hin. Ich weiß nicht, ob es die Globulis waren, die mir halfen, oder der Traubenzucker, der mir jetzt gereicht wurde, oder Corinnas ruhige Worte, dass ich gerne aus der Wanne aussteigen dürfe und wir es im Bett weiterversuchen könnten. Aber irgendwas in mir wurde wieder klarer: Und ziemlich wütend. Ich dachte mir nur noch: Schei***, wir können hier jetzt noch ne Stunde so weitermachen, und es wird keinen Milimeter besser, oder ich trau mich jetzt endlich, dieses Kind da durchzuschieben... und dann rollte auch schon eine Presswehe heran.
Ich drückte und schrie und spürte, wie der Kopf sich in den Geburtskanal schob, dachte: Ach Du schei***!!!! Und ließ wieder los. Der Kopf rutschte wieder zurück, die Wehe war weg, und ich heulte: "Oh Mann, jetzt ist er wieder zurückgerutscht!"
Ich weiß nicht mehr, ob Corinna daraufhin was gesagt hat, denn die nächste Wehe kam schon und ich nahm all meinen Mut - und meine Wut - zusammen und schob nach vorn. Ich denke, spätestens jetzt wusste die gesamte Nachbarschaft von der bevorstehenden Ankunft unseres Sohnes...
Der Kopf rutschte durch den Geburtskanal, kurz nachdem Corinna Sabine um dieses Ding bat, mit dem man die Fruchtblase sprengte. Corinna beugte sich über die Wanne und sagte: "So, komm, jetzt noch mal mit Kraft für die Schultern!" Ich dachte, ich müsste auf eine Wehe warten, aber ich war mir auch nicht mehr sicher, ob ich nicht in einer Wehe war, ich drückte einfach und fühlte, wie der ganze Ben endlich aus mir herausrutschte. Es war 23.20 Uhr.
Ich war fast sofort wieder klar. In einer Welle der Erleichterung, dem Wissen, es geschafft zu haben, der automatischen Ausschüttung von Endorphinen (das hat die Natur sich fein ausgedacht...) hatte ich fast sofort wieder einen klaren Kopf und freute mich, unseren kleinen blauen Ben auf die Brust gelegt zu bekommen, der nach und nach anfing, seine Lungen freizuschnaufen...
Überflüssig zu sagen, wie glücklich alle waren.
Ben war mit der "Glückshaube" geboren worden, das heißt, die Fruchtblase war nicht gerissen, Corinna hatte ihn unter Wasser davon befreien müssen. Das war auch der Grund für das Aktionstempo - normalerweise hätte Ben noch etwas schwimmen dürfen, aber von der Fruchtblase musste Corinna ihn schnell befreien.
Die Plazenta habe ich dann im Bett geboren, völlig problemlos. Im Bett wurde ich auch versorgt, Corinna nähte den Dammriss, kein neuer, die Naht vom letzten war aufgegangen wie eine Sollbruchstelle. Die Versorgung diesmal war ein Spaziergang zur letzten, die mir sehr unangenehm in Erinnerung blieb.
Und Ben wurde auch hier zum ersten Mal vermessen: 53cm, 4100gr, Kopfumfang 36cm. Agpar 9/10/10.
Es war sehr schön, meine Ma dabei zu wissen, die meine eigene Geburt nicht in guter Erinnerung hatte. Alex war diesmal mehr stiller Begleiter und Beobachter. In der Wanne hatte mir eigentlich niemand viel helfen müssen, die Wanne ist ein Geburtsort für einen "Alleingang".
Trotzdem hätte ich ihn nicht missen wollen - nicht eine Minute.