"Gerechtes Deutschland für Frauen"

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Paulchen

"Gerechtes Deutschland für Frauen" Vorsicht, lang

Hallo,

da ich nicht schlafen kann, möchte ich heute nacht einen Beitrag zur gerechten Verteilung von Arbeitslosengeldern schreiben.

Ich habe direkt nach dem Mutterschutz wieder 20 Stunden die Woche gearbeitet. Die Rechtslage (ich hatte mich kundig gemacht wegen Mobbing meines Arbeitgebers) sagte in 2003, dass im Falle einer Kündigung das Alosengeld vom Gehalt VOR der Muschuzeit angerechnet würde (inkl. Incentive bei mir in schwindelerregender Höhe!).

Da mein Chef alles getan hat um mich loszuwerden und ich ihm den Gefallen auch getan habe und im Februar kündigte, stellte ich einen Antrag auf Überbrückungsgeld zwecks Gründung einer Selbstständigkeit. Grundlage für die Zahlung ist die Berechnung des (fiktiven) Alosengeldes. Nun kam der Bescheid. Welch böse Überraschung: Zwar ist mir die "unbillige Härte" anerkannt worden, wonach der Berechnungszeitraum erweitert wurde, aber dennoch werden die letzten beiden Jahre, in denen mein Gehalt deutlich niedriger war, mit berücksichtigt. Das macht pro Monat Zahlung einen Unterschiedsbetrag von ca. 50%, die ich sonst mehr erhalten würde, aus. Die Gesetzeslage, nach der noch in 2004 Mütter nicht benachteiligt werden durften wegen einer Reduzierung der Arbeitszeit, wenn sie auf der Grundlage der Kindererziehung basiert, ist einfach weggefallen. Und das ist ein richtig fetter Betrag in meinem Fall.

Hätte ich nicht während der Elternzeit gearbeitet, dann wäre mein vorheriger Anspruch aufgelebt.

Ist das gerecht?

Erziehungsgeld habe ich nicht bekommen, wurde ja nach dem damaligen Einkommen gerechnet (das finde ich auch o.k. da hatte ich ja genug Geld). Und Alosengeld wird mir jetzt nach dem reduzierten Einkommen gezahlt.

Fazit:

Blöd ist, wer in der Elternzeit seine Arbeitszeit reduziert, aber weiterarbeitet, um den Arbeitsplatz und das Know-How zu behalten. Mutter sein wird nicht belohnt, zumindest nicht finanziell vom Staat. Stress, zusätzliche Betreuungskosten und emotionale Einbußen sind deine Last, liebe Teilzeiterwerbstätige. Solltest du arbeitslos werden, weil es deinem Chef nicht passt dass du ein Kind hast, wirst du benachteiligt.

Jetzt überlege ich ob ich vor Gericht gehe. Das kann doch nicht sein, wenn ein Mensch, der in der Erziehungszeit NICHT arbeitet mehr bekommt als einer, der arbeiten geht.
Oder? Wie seht ihr das. Das ist doch ganz klar eine Grundsatzeintscheidung, die gefällt werden muss, denn es geht doch deutlich um die Benachteiligung von Menschen, die Kinder bekommen und zwecks Erziehung die Arbeitszeit reduzieren. (gibt ja auch Männer, die daheim bleiben).

Es geht mir nicht so sehr um meinen speziellen Fall, sondern um die Gerechtigkeit.

Im Übrigen hat man mich bei der Arbeitsagentur weder auf die Möglichkeit der unbilligen Härte (danke Google) hingewiesen, und auch schon 2 Widersprüche abgelehnt. Und dann bin ich noch nach Qualifikationsstufe 2 fiktiv eingruppiert worden, obwohl mir laut Gesetzgeber mit meinem Hochschulstudium ganz klar die Stufe 1 (und damit ein deutlich höherer Satz) zusteht. Wahrscheinlich dachten die, ein Versuch sei es wert. Das sind immerhin schon 250 Euro mehr, die ich da herausgefunden habe. Und das wurde mir jetzt von der Revisionsabteilung beim 3. Widerspruch auch bestätigt. Ich bin da ziemlich hartnäckig, möchte aber nicht wissen, bei wievielen Menschen sie damit einfach durchkommen, zumal die Sachbearbeiter ja nicht gerade mit Freundlichkeit gesegnet waren und versucht haben, mich einzuschüchtern. (Pah!)

Im März habe ich eine Schulung zur Selbständigkeit gemacht, in der 14 Leute sassen, von denen mindestens die Hälfte nicht klar denken geschweige denn Reden konnte. Denen wurde beinahe allen das Überbrückungsgeld für die Aufnahme einer Selbständigkeit gewährt! Und bei ebay kann jedermann und jedefrau sich für 9,90 Euro einen Businessplan herunterladen, sich dann mit ein bisschen Glück das Testat erteilen lassen und damit zum Arbeitsamt gehen und kassiert dann das Geld. Das ist nicht gut für die Gemeinschaft, weil Leute gefördert werden, die nach dem halben Jahr Förderung wieder alos sein werden und das ist auch nicht gut für die Leute, die ja zum Teil gar nicht selber einschätzen können, ob sie es schaffen können oder nicht und dann vielleicht sogar mit Schulden dastehen. Immerhin begleite ich ja Existenzgründer und da stehen mir schon manchmal die Haare zu Berge. z.b. wenn die dann einfach keine KV bezahlen für sich und ihre Familie, weil sie ja "freiwillig" entscheiden können.

Bin gespannt auf eure Meinungen.

Katja
 
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Ute

mit Engeln unterwegs ....
LIebe Katja,

ja man muss schon besonders taff sein um seine Rechte in Deutschland zu erfahren (warum muss alles so kompliziert sein?) und hartnäckig um sie durchzusetzen. Ich gehöre auch zu den weniger hartnäckigen Menschen und möchte nicht wissen wie viele Arbeitgeber und auch der Vater Staat an mir (und meiner unschuldigen Doofheit) sich erfreut haben. Für alles braucht man Spezialisten ... und am Ende wissen die Herrschaften in ihrer eigenen Abteilung nicht Bescheid *grrrr*

Dass Mütter oder Väter die stundenweise Arbeiten gehen dafür nachher noch finanziell schlechter gestellt werden nach Ablauf der Erziehungszeit - das ist der Hammer. Wie war das mit der Meinung bestimmter Politiker den Frauen gehören die 3 Kas ... Kinder, Küche, Kirche (und dort spätestens das unbezahlte Ehrenamt). Das ist doch ein genialer Weg dahin.......

Katja dir traue ich das zu da für neue Grundsätze zu streiten. Und wenn das ganze so richtig öffentlich wird, was da gedreht wurde um MÜTTER zu benachteiligen - dann haben die Wortverdreher wieder mächtig Arbeit.

Leute kriegt Kinder ..... aber vergesst nicht euch vorher mit Regenschirmen einzudecken. Dort im Regen stehen wir nämlich häufig genug, geschuppst vom Politik und Umfeld. Welch Glück dass wenigstens unsere Kinder Sonnenschein bedeuten.

Ute - noch was unausgeschlafen ....
 
F

FriMa

Hallo Katja,
also wenn du die Nerven hast - ich fände es super, wenn du vor Gericht eine Grundsatzentscheidung erstreiten könntest.

Wenn ich den Schneid hätte, würde ich klagen wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz, denn Nicht-Verheiratete mit Kindern werden zwar überall, wo es Geld zu beantragen gibt, als Bedarfsgemeinschaft betrachtet (Wohngeld, Erziehungsgeld, Kita-Gebühren, HartzIV usw.) - aber steuerlich gelten sie als Single, bekommen Steuerklasse 1 und werden nicht gemeinsam veranlagt. :-?

Was das Problem Ich-AG und Überbrückungsgeld betrifft, gebe ich dir zu 100% Recht. Der Zufall will es, dass ich gerade über einer Studie sitze, die sich mit Start-Ups beschäftigt. Und daraus geht auch hervor, dass Not-Gründungen wg. Arbeitslosigkeit von Leuten, die meist überhaupt kein Unternehmer-Typ sind, ohnehin kaum eine Chance haben. Nun, man könnte sagen, im schlimmsten Falle sind die danach eben wieder arbeitslos und die Quote ist wieder auf dem alten Stand. Stimmt aber nicht: Denn inzwischen haben die Leute mit Förderung durch Dumpingpreise (die sie sich leisten können, weil sie zusätzlich ja Geld vom Amt kriegen) die anderen, nicht geförderten Unternehmen in ihrer Sparte totgemacht - und dadurch neue Arbeitslose erzeugt. :-?
 
P

Paulchen

Hallo,

ich war einige Tage "offline" und bin sehr erstaunt über die geringe Resonanz. Danke Ute und Frima für eure Antworten.

Frima, naja, in einem halben Jahr kann meiner Meinung nach doch gar keine echte Selbständigkeit entstehen, es sei denn, man hat wie ich Geld gespart um eine längere Anlaufphase zu finanzieren oder man geht mit ersten Aufträgen direkt in die Selbständigkeit.

Oder?

Katja
 
F

FriMa

Katja, ich halte die Ich-AGs auch sehr gefährlich für die Arbeitslosen selbst, die sich da Hals über Kopf reinstürzen. Denn oftmals stecken sie nicht nur viel Herzblut und Arbeitszeit hinein, sondern auch noch eigene Rücklagen, so dass sie hinterher, wenn der Versuch gescheitert ist, schlechter dastehen als zuvor. Schlimmstenfalls noch mit einem Berg Schulden. :-?

"Meine" Studie hier sagt, dass diejenigen, die sich "sowieso irgendwann" selbstständig machen wollten, die Förderung einfach gern "mitnehmen". Sie hätten es aber auch ohne getan.
Diejenigen, bei denen der einzige Grund, sich selbstständig zu machen, die Arbeitslosigkeit und die Förderung ist, haben als Unternehmer kaum Überlebenschancen.

Mehr Resonanz auf dein Posting hättest du wahrscheinlich im Nachdenkstübchen (vielleicht kannst du es verschieben lassen von einem Mod), allerdings hatten wir ähnliche Themen auch schon öfter.
 

Schnäuzelchen

Familienmitglied
Hallo Katja,
aus Erfahrung in der eigenen Familie, sehe ich es leider genau so, dass die ich-AGs usw. nach dem Gieskannenprinzip verteilt wurden, einzig zu dem Zweck die Alosenstatistik kosmetisch zu behandeln.
Auch aus eigener Erfahrung weiss ich, wie hart es ist sich mit dem Arbeitsamt auseinander zu setzen. Ohne Rechtsbeistand und Steuerberater an der Seite, sollte man sich dort gar nicht erst hintrauen :bissig:
Ich finde deinen Schneid und deine Power bewundernswert und hoffe, dass du dich durch die Instanzen kämpfst !
Leider sehe ich es ähnlich wie Ute, dass die momentane Politik in D darauf abzielt, Frauen mit Kindern zuhause festzunageln. Das ist nämlich auf seine Weise auch gut für die Alosenstatistik - und für die Unternehmen, die sich so uA unbemerkt "gesundschrumpfen" können.
In unserem Fall ist es so, dass mein Mann nach seinem 400€ Job (nach an Formalien gescheiterter ich-AG) nun mit unserer Tochter zuhause ist und ich nach dem Mutterschutz wieder arbeiten gehe. Vollzeit. Auch das war recht abenteuerlich.
Stillzimmer ??? Wurde auf mein Drängen provisorisch geschaffen.
Schon im Januar (ich ging im Juni in Mutterschutz) wurde mein Urlaub um 30% gekürzt, da ich ja "eh nicht mehr wieder komme und da verfällt der Urlaub" - nach nur 4 Tagen telefonieren und Überzeugungsarbeit wurde er Urlaub wieder eingebucht - zähneknischend.
Eine für unsere Abteilung (bestehend aus 2 Menschen - er und ich) notwendige personelle Weiterbildung hat mein 60 (!!!) - jähriger Kollege zugesprochen bekommen, nicht ich, als potentieller Risikofaktor "Mutter", die noch 30 Jahre hier arbeiten wird .....
Mütter, zieht euch warm an !
Die Gleichberechtigung, Förderung der Familie, gerechte Bezahlung und Anerkennung für die Doppelbelastung als arbeitende Mutter ist noch in weiter Ferne .....
Ich wünsche dir für deine Pläne alles Gute und viel Kraft
LG Schnäuzelchen
 

elfchen

Dauerschnullerer
Hallo Katja,

ich verstehe nicht, warum dein Arbeitslosengeld gekürzt wird. Die entsprechende Passage im Gesetz lautet:

§ 130
Bemessungszeitraum und Bemessungsrahmen

(1) ...

(2) Bei der Ermittlung des Bemessungszeitraumes bleiben außer Betracht ...

3. Zeiten, in denen der Arbeitslose Erziehungsgeld bezogen oder nur wegen der Berücksichtigung von Ein-kommen nicht bezogen hat oder ein Kind unter drei Jahren betreut und erzogen hat, wenn wegen der Betreuung und Erziehung des Kindes das Arbeitsentgelt oder die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit gemindert war,
4. Zeiten, in denen die durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf Grund einer Teilzeitvereinba-rung nicht nur vorübergehend auf weniger als 80 Prozent der durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit einer vergleichbaren Vollzeitbeschäftigung, mindestens um fünf Stunden wöchentlich, vermindert war, wenn der Ar-beitslose Beschäftigungen mit einer höheren Arbeitszeit innerhalb der letzten dreieinhalb Jahre vor der Entstehung des Anspruchs während eines sechs Monate umfassenden zusammenhängenden Zeitraums ausgeübt hat.

Danach würde ich das anders verstehen...?

:winke:
Doreen
 
G

gretel

kaaaatja, das schreit geradezu nach einem grundsatzurteil. und du bist genau die frau dazu, das durchzuziehen. :prima:


das ist nicht gerecht. nein.

ich schreib jetzt mal von einem anderen fall einer freundin von mir, der mich schockiert hatte, weil es einem einfach nicht bewusst ist, was der gesetzgeber für einen bockmist verzapft.

sie war district-manager in einer großen firma. und hat viel geld eingezahlt. in kk und arbeitslosenkassen. über jahre.
dann kam die zeit, als bei denen umstrukturiert wurde, sie wurde gekündigt. danach wurde sie ss mit dem ersten kind. noch in der elternzeit wurde sie erneut schwanger und dann kam noch ein 3.kind.

nun ist das letzte kind über 3. sie bekommt trotz ihrer guten ausbildung und den superleistungen in ihrem alten job keine stellung. kann mit den 3 kindern und mittlerweile alleinstehend auch nicht vollzeit arbeiten.

also ging sie zum arbeitsamt wegen arbeitslosengeld und halbtagsstelle.

letzteres kann sie so gut wie vergessen. aber: sie bekam auch kein a-geld.

denn: das a-geld wird berechnet aus den letzten monaten/ jahren vor dem kind. schlagt mich jetzt nicht, ob das 3 jahre sind. in jedem falle liegt dieser zeitraum in ihrem falle in ihren erziehungszeiten. sie war insgesamt 7 jahre zu hause.

ihr steht zwar gesetzlich die elternzeit zu. das a-geld bezieht diese zeit in ihren fristen aber nicht ein. eine lücke, die der gesetzgeber einfach nicht bemerkt hat.

ein befreundeter a-amts-angestellter sieht das problem. die können aber nur aufgrund ihrer grundlagen entscheiden.

sie war mit ihrem fall in versch. tv-sendungen. keiner konnte das wirklich glauben, was da passiert.

ich muss jetzt direkt mal nachfragen, wie sie weiter vorgeht. sie wollte eigentlich auch ein grundsatzurteil anstreben.

es ist einfach nicht zu fassen, was da passiert.
und es ist ja nicht so, dass man was geschenkt haben will. in ihrem wie in deinem fall handelt es sich um hochqualifizierte frauen, die viel geld in die staatskassen eingezahlt haben und nun erstmals auch auf was angewiesen sind. einfach, weil sie mutter geworden sind. weil sie dem staat nachwuchs geboren haben.
 
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