Mutterliebe einmal anders betrachtet

nici

keiner Titel
... oder: Was sind das nur für Mütter??

Hallo zusammen,

ich schreibe dieses Posting, weil mir diese Betroffenheitspostings a la "wie kann man nur sein Kind töten..." / "ich kann mir das gar nicht vorstellen ..." / etc. gehörig auf den Keks gehen. Ja es ist furchtbar, aber muß es immer wieder aufs Neue breitgetreten werden? Ja, wir sind betroffen, wir alle, die wir hier posten - hoffe ich, aber muß ich meine Betroffenheit zum zigsten Male bekunden?

In unserer heutigen Tageszeitung war ein sehr interessanter Artikel von Wolfgang Schmidbauer (Psychoanalytiker, der sich mit Gesellschaftlichen "Phänomenen" beschäftigt). Und ja, ich mache mir die Mühe hier den (fast) kompletten Artikel abzutippen! Weil ich hoffe, daß dieses Geposte jedesmal wenn wieder etwas in der Richtung passiert aufhört (zumindest weniger wird), denn es passiert und gar nicht mal soooo selten ...

Was sind das nur für Mütter? Wenn wieder einmal ein Kind von der eigenen Mutter mißhandelt oder gar getötet worden ist, hören wir diese vorwurfsvolle, ratlose Frage. Und selten war sie lauter, als in diesen Tagen [...] Die Frage steht für eine bequeme Illusion. Sie lautet: es gibt so etwas wie einen Mutterinstinkt, eine angeborene, unbeirrbare Neigung, sein eigen Fleisch und Blut zu schützen und alles zu tun, um es vor Übel zu bewahren.
Dieser Irrglaube prägt die öffentlichen Reaktionen dieser Tage und verleugnet Tatsachen, die an sich längst bekannt sind, aber gern vergessen werden. In Wahrheit ist die Beziehung zwischen Mutter und Kind wie alle hoch leidenschaftlichen und existenziellen Beziehungen nämlich ambivalent, das heißt gemischt aus Haß und Liebe. Wenn Mütter offen ohne Erwartungsdruck sprechen können, wenn das Gute also nicht von vornherein erzwungen werden soll, dann erzählen sie uns doch recht genau, wie oft sie immer wieder ihr armes hilfloses Baby am liebsten gegen die Wand klatschen würden.
Wir sollten uns eingestehen, daß die Neigung nur allzu menschlich ist, Kinder lästig zu finden und ihnen das Existenzrecht abzusprechen. Dann können wir gelassener nach jenen Bedingungen suchen, welche die Stabilität der mütterlichen Zuwendung ermöglichen, die für das Überleben der meisten Menschen so unendlich wichtig ist.
[...]
Wenn wir nach emotionalen Grundlagen der Mutterschaft suchen, finden wir nirgens eine isolierte, mit einem Kind allein gelassene Frau. Wir finden eine Gruppe, Frauen und Männer, die sich fürsorglich um das Neugeborene organisieren und es begrüßen. In allen Primitivkulturen wandern die Säuglinge von Arm zu Arm. Eine Mutter hat nur in absoluten Ausnahme- und Notsituationen zu bewältigen, was heute vielfach normal ist: unter Einzelhaftbedingungen Tag und nacht füt ein Baby zuständig zu sein. Das sie versorgen muß, weil sie es schliesslich "selbst eingebrockt" hat. Nur wer sich selbst ein Leben lang emotional von Kindern ferngehalten hat oder aber ein unerschütterlicher Gutmensch ist, wird nicht verstehen, daß unter solchen Bedingungen nicht die Liebe wächst, sondern Hass und Wut zu kurzfristigen Befreiungstaten führen können.
[...]
Das Schwinden der Großfamilie mag unser Sexualleben aus der erdrückenden Kontrolle einer erweiterten Verwandschaft befreit haben. Aber es hat auch dazzu geführt, daß nicht mehr eine einfühlende, erfahrene Frauengruppe das Baby betreut. Zwei Partner tun es, hinter denen ein von Männern gemachtes Gesetz steht. Das liebende Paar ist aber ein anspruchsvolles und gar nicht selten höchst instabiles Milieu. In Wunschträumen festigen die Kinder die Ehe; in der Realität treiben Geburten die Scheidungsziffer auf ihren frühen Höhepunkt. Fehlt der leibende Partner, dann regieren Gesetze und Experten, welche den Müttern beibringen, was sie tun und was sie lassen sollen.
Das Kind wächst in der Mu´tter, sie erlebt es als einen Teil ihres eigenen Selbst, und sie kann es nur so sehr lieben, wie sie sich selbst liebt. [...]
Pflichtgefühl genügt nicht, um aus einer Frau eine genügend gute Mutter zumachen. [...] Wenn Mütter versagen, heißt das auch, daß die Umgebung versagt hat, indem sie die Mutter in einem hoch gefährdeten Stadium allein gelassen hat. Abscheu, Entsetzen und Wut gegen die Rabenmutter sollten also lieber dem Nachdenken weichen, wie gut eigentliche eine Gesellschaft für ihre Kinder sorgt, die Mütter zur unbedingten Mutterliebe verpflichten will, ohne sie dabei angemessen zu unterstützen. Es ist trivial mehr Liebe einzufordern. Aber es ist doch längst nicht so töricht, wie die ewige Forderung nach strengeren Gesetzen und schärferen Kontrollen, die in Situationen wie [...] immer wieder laut wird. Hilfreich wäre es allein, jene Bedingungen zu schaffen, die an der Einsamkeit und Auslieferung isolierter Mütter etwas ändern.

So, und nun bitte ich ein wenig darüber nachzudenken, ob es nicht in meiner Nähe meiner Hilfe bedarf, wie allein meine Nachbarin, meine Bekannte, die Frau auf der anderen Straße sind und ob ich irgendetwas tun kann um ihr und ihren Kindern zu helfen. Sicher alle mal besser als diese ewige "Betroffenheit".

Schöne Grüße
Nici
 
Zuletzt bearbeitet:

Jacqueline

Ohneha mit der Lizenz zum Löschen
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Moderatorin
Danke, danke, danke für diesen Artikel und Deine Worte dazu!

...

Liebe Grüsse, Jacqueline
 
G

Grisu

So ein Posting ist "Goldes Wert"!

Echt toll, dass Du das hier reingeschrieben hast - und Dir überhaupt in diese Richtung auch Gedanken machst.

DANKE! :prima:
Lieben Gruß
Christine
 

nici

keiner Titel
... ich fürchte nur der Artikel ist zu lang, als daß sich jeder die Mühe macht, ihn zu lesen...
 
G

Grisu

Du hast hier etwas Positives reingeschrieben - ob jemand alles lesen will - das kannst du natürlich nicht beeinflussen. Wer wirklich auch die Sache von einer anderen Seite betrachten will - und seinen Blickwinkel etwas erweitern will, der wird sich auch die Zeit nehmen, das zu lesen.

Du kannst jemandem etwas schenken - was derjenige dann mit dem Geschenk macht - das ist nicht mehr Deine Sache.
Wichtig ist, DASS Du geschenkt hast - hier im Forum einen ganz wertvollen Beitrag!!!!

;-)
Lieben Gruß
Christine
 

Jacqueline

Ohneha mit der Lizenz zum Löschen
Mitarbeiter
Moderatorin
nici hat gesagt.:
... ich fürchte nur der Artikel ist zu lang, als daß sich jeder die Mühe macht, ihn zu lesen...

Das kann schon sein - aber beim nächsten Betroffenheitsposting kann man dieses hier verlinken - vielleicht wird es dann doch noch gelesen.

Liebe grüsse, Jacqueline
 

Tanja

Gehört zum Inventar
Genau das trifft es auf den Punkt! Mir tut es auch leid, wenn ich so etwas in den Nachrichten sehe oder in der Zeitung lese, frage mich dann immer wieder, was passieren musste, damit so etwas möglich wurde.

Nicht, dass ich die Mütter verstehen könnte, aber ich kann den Artikel voll und ganz verstehen, da ich durch die Schichtarbeit meines Mannes oftmals fast den ganzen Tag mit Leah allein bin. Und das GEHT an die Substanz, es KOSTET Nerven. Und so manches Mal hab ich mich gefragt, ob es richtig war, ein Kind zu bekommen, Ich hab mich gefragt, ob ich wirklich eine gute und liebende Mutter bin, wenn ich mir solche Fragen stelle und einfach nur gern mal wieder allein wäre.

Mutter sein ist nicht = Selbstaufgabe, aber in unserer Gesellschaft wird es erwartet, oftmals. Und ich möchte niemals eine alleinerziehende Mutter sein, diese Frauen verdienen meinen höchsten Respekt, ich weiss nicht, ob ich es schaffen würde.

Deshalb, DANKE für diesen ehrlichen Artikel.
 

nici

keiner Titel
Übrigens hab ich gerade das ARD eingeschaltet und dort kommt ein Bericht darüber ... noch keine Ahnung obder gut ist ...
 
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