Hallo Silvia!
Ich fass dir mal grob zusammen, was ich in 3 verschiedenen Büchern über "Schüchterne Kinder" gefunden hab:
Schüchternheit, die sich schon sehr früh im Leben äußert (also bereits im Kleinkindalter) ist angeboren und eine Frage des Temperaments. Man nennt solche Kinder auch "gehemmte Kinder". Im Kleinkindalter äußert sich so eine Hemmung als extremer Widerwille, sich auf unbekannte und neue Personen und Dinge einzulassen. Schüchterne Kinder lösen sich in neuen Situationen oft nur schwer von der Mutter und sprechen kaum (auch wenn sie zuhause quasseln wie ein Wasserfall). Grundsätzlich sind schüchterne Kinder bei allem was sie (zum ersten Mal) tun, extrem vorsichtig. Ca. 15% aller Kleinkinder gehören diesem Temperamentstyp an. Schüchternheit äußert sich aber auch schon im Babyalter, in Form von Reizbarkeit und schlechter Orientierbarkeit auf neue Reize und Veränderungen.
Der Psychologe Jerome Kagan hat die neurologischen Ursachen für Schüchternheit untersucht. (Du findest viel, wenn du nach diesem Namen googelst).
Er hat herausgefunden, dass bei gehemmten Kindern im Gehirn schneller Angstreaktionen ausgelöst werden. In einer evolutionär älteren Gehirnstruktur, dem sogenannten Mandelkern, wird "entschieden", ob sich ein Mensch in unvertrauten Situationen für "Kampf oder Flucht" entscheidet. D.h. ob er sich der Herausvorderung stellt oder sich zurückzieht. Bei schüchternen Kindern wird der Mandelkern schneller aktiviert als bei ungehemmten Kindern,
d.h. sie ziehen sich eher zurück als sich einer neuen Situation zu stellen.
Hier kann man ansetzen, wenn man schüchternen Kindern helfen will. Wenn man sie so früh als möglich (solange das Gehirn noch flexibel ist) immer wieder sanft schubst und ihnen so neue Herausforderungen zu meistern ermöglicht, dann kann man diese Überaktivierung des Mandelkerns ein bischen abschwächen. D.h. du solltest Marie nicht in "Watte packen" wegen ihrer Schüchternheit, sondern sie dazu aufmuntern am Spielplatz neue Geräte zu bespielen, ihr dabei helfen über sich selbst hinauszuwachsen. Wichtig dabei ist, dass du feinfühlig und behutsam vorgehst. Man hört oft Mütter sagen "Nun stell dich nicht so an" oder "Sei kein Angsthase" oder "Nun sei doch nicht so schüchtern"....sowas wäre kontraproduktiv. Du sollst Marie lediglich vermitteln, dass du ihr zutraust, dass sie es schaffen kann. Ihr auch die Sicherheit bieten, dass du ihr hilfst, falls sie es nötig hat. Und wenn es mal nicht klappt, dann klappt es bestimmt beim nächsten Mal...
Ach ja und auch keine Vergleiche mit anderen Kindern anstellen z.B: "Nun schau mal der Stefan, der traut sich auch runterrutschen" usw. das wäre ebenfalls kontraproduktiv, denn schüchterne Kinder vergleichen sich später sowieso viel zu viel mit anderen, das sollte man nicht auch noch unterstützen. Abgesehen davon macht es bestimmt nicht mutiger.
Speziell bei den motorischen Sachen am Spielplatz wäre das alles ganz wichtig.
Wie kann man älteren schüchternen Kindern helfen?
Zwischen 5 und 6 Jahren, beginnen Kinder, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Sie kommen drauf, dass andere Menschen eine gewisse "Meinung" über sie haben und bilden subjektive Theorien darüber, wie diese Meinungen aussehen könnten. Nun ist es bei schüchternen Kindern so, dass sie sehr darauf fixiert sind, wie sie von anderen gesehen werden. Schüchterne Kinder haben von Natur aus die Tendenz ein negatives Selbstbild zu entwickeln und damit auch zu glauben, dass andere ebenfalls ein schlechtes Bild von ihnen haben. Dem sollte man unbedingt entgegenwirken, indem man 1. das Selbstvertrauen (das ja auf Leistung aufbaut) stärkt (wie Silly schon geschrieben hat), aber auch den Selbstwert. Ein schüchternes Kind muss sich
so wie es ist angenommen und geliebt fühlen. Das ist ganz wichtig. Trotz und mit all seinen Fehlern und Unvollkommenheiten, muss es sich geliebt fühlen, damit es im Umgang mit anderen sicherer werden kann und nicht beginnt, sich nach den Wünschen anderer zu verstellen. Würde man nur beim Selbstvertrauen ansetzen, so wäre das Ansehen bei den anderen wieder nur auf Leistung und Können beschränkt...d.h. Marie fühlt sich nicht ihrer selbst wegen gemocht, sondern weil sie dies oder jenes kann. Das wär natürlich nicht gut für ihr Selbstbild.
Man sollte daher das Kind vor Beschämungen schützen, es ja nie in seiner Person kritisieren, auch wenn es noch so was schlimmes angestellt hat. Keine moralischen Untertöne so wie "dass du dich nicht schämst" oder "du bist ein böses Kind"....
Man kann auch bei der Kontaktaufnahme mit anderen Kindern helfen. Du hast schon richtig erkannt, dass sich Marie mit anderen Kindern zuhause wohler fühlt. Das ist ein guter Ansatzpunkt. Versuch mal wirklich regelmäßig Freunde von ihr zuhause einzuladen, bis sie sich so sicher im Umgang mit ihenen wird, dass sie es auch im Kiga und in fremden Situationen schafft. Grundsätzlich wird sie sich leichter tun, wenn du als Mama, in ihrer Nähe bist.
Du kannst Marie auf neue Situationen in Gesprächen oder im Spiel vorbereiten. Wenn sie z.b. bei anderen Kindern eingeladen ist, kannst du es vorher mit ihr besprechen und sie immer wieder darin bestärken, dass sie es schafft dort alleine zu bleiben. Vielleicht hilft es auch, wenn du ihr sagst, dass es den anderen Kindern auch schwer fällt einen Nachmittag ohne Mama zu verbringen. Das kann man natürlich auch auf andere Situationen mit fremden Kindern ummünzen.
Außerdem solltest du bewußt mit Marie ein sicheres Auftreten üben. Schüchterne Kinder sprechen oft leise oder toben nicht, um ja nicht aufzufallen. Das solltest du zuhause mit ihr üben...sie darf dann laut schreien, brüllen, laute Tiere nachmachen usw. Sie darf trampeln wie ein Elefant, tanzen, hüpfen wie ein Frosch, fliegen wie ein Vogel....Also ganz bewußt anders sein und Spaß dabei erleben.
So, ich denke das reicht erstmal. Ich kann dir auch noch ein gutes Buch zum Thema Kinderängste empfehlen, darin wird Schüchternheit in einem extra Kapitel behandelt:
http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3608941010/qid=1121163357/sr=8-3/ref=sr_8_xs_ap_i3_xgl/302-1882509-1627210
lg und viel Glück,
Johanna
die selber schüchtern ist
Ach ja und nochwas. Du schreibst, dass du dich sorgst, Marie würde von anderen Kindern ausgeschlossen oder nicht gemocht im Kiga wegen ihrer Schüchternheit. Das stimmt nicht, es gibt einige Untersuchungen zur Beliebtheit von gehemmten Kindern in einer Gruppe Gleichaltriger. Schüchterne Kinder waren nicht unbeliebter als "normale" Altersgenossen. Sie wurden oft sogar speziell für ihre Ruhe und ihr Einfühlungsvermögen geschätzt.