Einer geht - eine kommt. Sehr sehr lang!

Stephanie

The one and only Mrs. Right
Hier mein Geburtsbericht. Ich dachte, ich hätte ihn hier schonmal geschrieben, habe ihn aber in der Suchfunktion nicht mehr gefunden. Vermutlich wars in einem anderen Forum. Falls ich ihn hier übersehen haben und damit doppelt gepostet haben sollte, sorry dafür :eek:

Vivians ET war für den 22.12.02 errechnet und ich war fest der Überzeugung, dass ich Anfang Januar noch schwanger rumlaufen würde. Doch ich täuschte mich.

Am Freitag den 13.12.02 war mir morgens schon übel. Ich dachte es käme durch das Orthomol Natal das ich einnahm, davon war mir schon manchmal mulmig geworden. Ich fuhr zu meiner Mom, wollte mit ihr den Tag verbringen und noch ein paar neue Hausschuhe fürs Krankenhaus kaufen. Leider ging es ihr nicht gut, mein Vater der sich zu der Zeit beruflich in Süd Korea aufhielt, hatte sich noch nicht gemeldet und sie machte sich große Sorgen. Ich tat das als Unsinn ab und wir gingen einkaufen.

Als wir gegen Mittag zurückkamen, klingelte das Telefon und ein Kollege meines Vaters war dran. Ich sah wie meine Mutter blass wurde, sich setzte und immer wieder rief "was ist passiert, was ist passiert" und meine Knie wurden ganz weich. Als sie auflegte, berichtete sie unter Tränen, dass mein Vater während einer Sitzung über starke Kopfschmerzen klagte und danach im Sessel das Bewusstsein verloren hätte. Inzwischen wäre er im Krankenhaus, verdacht auf Hirnhautentzündung. Er wäre ins künstliche Koma versetzt worden und weitere Untersuchungen ständen an. Genaueres könnte man noch nicht sagen. Der Kollege riet ihr die Testergebnisse abzuwarten, doch mein Bruder und ich waren uns einig: sie sollte den nächsten Flieger nach Korea nehmen, koste es was es wolle.

So besorgten wir innerhalb von zwei Stunden ein Ticket, Geld, packten ihre Sachen und mein Bruder fuhr sie zum Flughafen. Meiner Mom graute vor dem 15 Stunden Flug, weil sie in der Zeit nicht erreichbar war. Zudem machte sie sich Sorgen um mich, wollte sie doch unbedingt bei der Geburt dabei sein.

Uns blieb nichts weiter als warten. Wir erkundigten uns in der Zwischenzeit bei einer befreundeten Ärztin, die uns beruhigte: bei einer bakteriellen Meningitis muss man nur das passende Antibiotikum finden und alles wird gut.

Die Zeit kroch an diesem Tag nur so, jede Sekunde fühlte sich wie eine Stunde an. Ich stand völlig neben mir, konnte eigentlich nur rum sitzen und wurde fast verrückt vor Sorge. Merkwürdigerweise verdrängte ich in dieser Zeit körperlich völlig, dass ich hochschwanger war.
Ich hatte dann den Vater meiner noch ungeborenen Tochter angerufen, obwohl wir eigentlich kaum noch Kontakt hatten. Doch ich fühlte mich mit der Situation überfordert, zudem musste ich noch vier Hunde versorgen und ich bat ihn zu kommen und zu helfen.

Samstag morgens, gegen fünf Uhr, klingelte das Telefon. Meine Mutter berichtete, sie sei gerade in Inchon angekommen und man hätte sie abgeholt um sie sofort ins Krankenhaus zu meinem Vater zu bringen. Dieser hätte in der Zwischenzeit drei Herzstillstände erlitten und die Reanimation bei einem weiteren wäre aussichtslos. Es stand also sehr, sehr schlecht um ihn. Ich nahm das kaum wahr, weckte meinen Bruder und wir warteten weiter. Um acht Uhr rief meine Mutter an, mein Vater wäre gestorben. Er wurde nur 51 Jahre alt.

Von da an lief für mich alles wie ein Film ab. Die ganzen Menschen im Haus, Kondolationen, Händeschütteln, tröstende Worte, die Fragen des Bestatters.. ich hab das kaum mitbekommen. Mir war einfach nur übel, selbst Wasser brach ich wieder aus. Ich lag die meiste Zeit auf einer Liege im Wohnzimmer und starrte an die Decke.

Vermutlich war mein schlechter Zustand der Grund, warum -sechs Tage zu früh- Sonntag Abend gegen acht die ersten Wehen einsetzten. Ich merkte sofort dass es Wehen waren, sagte aber erstmal niemandem was sondern legte mich hin und beobachtete die Abstände. Gegen zehn wurden die Wehen immer stärker, Abstand ca. 10 Minuten. Da gerade Eisregen einsetzte, sagte ich meiner Tante Bescheid dass es vielleicht eine gute Idee wäre, langsam ins Licher Krankenhaus zu fahren. Wer weiß wie lange wir brauchen würden.

Es dauerte tatsächlich zwei Stunden bis wir endlich dort waren, unterwegs unterhielten meine Tante und ich uns zwar, doch alle fünf Minuten kamen heftige Wehen. Die Hebamme im Kreissaal untersuchte mich sofort und meinte „3-4cm, da waren sie ja schon fleißig! Das ist kein Fehlalarm!“ Nach einem CTG sollte ich dann ein/zwei Stunden durch die Flure laufen, damit die Wehen so schön wirkungsvoll bleiben. Meine Tante immer brav bei mir, sie litt richtig mit mir denn durchs laufen wurden die Wehen fast unerträglich. Sie kamen dann schon alle zwei Minuten und nach einer halben Stunde laufen war ich schon wieder im Kreissaal. Ich sagte dann, ich will unbedingt eine PDA, wusste nicht wie ich mich auf dem Bett hinlegen sollte, Pezziball war auch nicht gut und jeder Schluck Wasser kam postwendend wieder hoch. Ich kotze mir echt die Seele aus dem Leib.

Montag morgen gegen zwei Uhr war ich dann schon bei 6 cm, hielt die Schmerzen kaum noch aus und wollte UNBEDINGT eine PDA!! Die Hebamme aber war (trotz ihres jungen Alters) sehr ruhig und gelassen und fragte, ob ich vielleicht in die Wanne wolle. Das könnte die Schmerzen etwas lindern, zumal wenn ich weiterhin so ein Tempo vorlegen würde, das Baby da wäre bevor die PDA wirken könne.

Also ging ich in die Wanne und fühlte mich wirklich ausgesprochen wohl im Wasser. Ich fühlte mich viel leichter und obwohl die Wehen natürlich immer noch saumässig weh taten, konnte ich mich in den Wehenpausen viel besser entspannen und erholen als auf dem Bett. Inzwischen konnte ich auch nicht mehr lautlos veratmen, d. h. ich brüllte quasi das ganze Krankenhaus zusammen! Das tat soo gut, auch wenn meine Tante daneben saß und wirklich mit mir litt. Sie war echt toll, sagte kaum etwas (beiläufiges Geplapper hätte ich nicht ertragen) und sie fasste mich auch nicht an, danach war mir absolut nicht. Hin und wieder reichte mir sie einen kalten Waschlappen für mein Gesicht und ansonsten war sie einfach nur da.

Ab da an hab ich ein etwas verzerrtes Zeitgefühl. Meiner Erinnerung nach war es ca. 3:30 Uhr als die ersten Presswehen einsetzten. Die Hebamme meinte, jetzt solle ich mal nicht mehr schreien, sondern die ganze Kraft fürs pressen einsetzen. Diese wahnsinnigen Gewalten die eine Presswehe mit sich bringt vergesse ich nie! Das Gefühl gar nicht anders zu können als wie eine Verrückte dieses Kind da rauszudrücken ist kaum zu beschreiben. Um 4:10 Uhr war es dann soweit: Vivian Barbara schwamm auf die Welt! 4010 g schwer, 54 cm lang, KU 36 cm.
Die Hebamme legte sie mir auf die Brust, doch sie wollte nicht anfangen zu atmen! Nach kurzer Zeit nabelte die Ärztin Vivian ab, nahm sie mir weg und rannte mit ihr aus dem Kreissaal. Wie brenzlig das war kapierte ich gar nicht, ich war noch völlig in Trance und froh, dass die Schmerzen vorbei waren. Ich war jetzt Mama... dieser Gedanke kam erst später. Nicht einmal eine Minute später hörte ich den ersten, kräftigen Schrei meiner Tochter aus der Ferne, mein Gott war das schön! Ich bekam sie dann auch gleich wieder ans Bett gebracht, in das ich in der Zwischenzeit gewechselt war. Sie war in ein weißes Handtuch gewickelt, hatte die Augen fest zu und ich wusste, ihr Opa war ihr Schutzengel und hatte über sie gewacht.

Leider durfte ich sie wieder nicht lange halten. Die Plazenta kam nur, da die Ärztin an der Nabelschnur zerrte wie verrückt. Das tat weh und ich sagte ihr das auch immer wieder! Sie meinte, es ginge nun nicht anders. Beim betrachten der Plazenta meinte sie dann, sie wäre unvollständig, es würde eine Ausschabung nötig sein und zwar ganz schnell denn ich hatte schon eine Menge Blut verloren.

Ich konnte gar nicht so schnell gucken, da wurden mir Saugnäpfe auf die Brust gepappt, ein Zugang gelegt, die Beine festgeschnallt und alle rausgeschickt. Dann bekam ich die Maske übers Gesicht und es wurde dunkel.
Als ich wieder aufwachte lag ich in einem anderen Kreissaal, mein Blutdruck war völlig unten, ich war hundemüde aber mein Töchterchen war gesund und munter. Sie brachten sie mir auch gleich, ihr Papa war dann auch da und platze förmlich vor Stolz.

Ich musste dann noch fünf Tage im Krankenhaus bleiben, wurde Freitags zur Beerdigung meines Vaters entlassen. Diese Zeit war eigentlich die Schlimmste, ich hatte kaum Besuch da alle mit Beerdigungsvorbereitungen beschäftigt waren. Zudem lag ich ihn einem Einzelzimmer und fühlte mich unglaublich einsam. Ich hätte gerne mit jemandem geredet, auch mit einer Krankenschwester, doch die waren zu beschäftigt. Ich sprach viel mit Vivian, die ich immer auf meiner Brust liegen hatte. Ich erzählte ihr von ihrem Opa und wie sehr sich alle auf sie freuen, trotz der Umstände.

Und ich frage mich immer, ob es Schicksal war oder einfach Zufall. Einer geht, eine kommt – innerhalb von zwei Tagen. Das Leben ist manchmal merkwürdig.
Ich wünschte er hätte sie noch kennen lernen dürfen, er hatte sich doch so auf sie gefreut.
 

sandra.mo

heisser Feger
:tröst: ...das tut mir sehr leid mit Deinem Vater!

Aber er hat über Dich und Vivian bei der Geburt gewacht und wird es weiterhin tun :jaja:
Traurig ist natürlich nicht nur, das DU ihn verloren hast, sondern das er die kleine Maus nicht kennenlerne durfte :(


Vivian war aber ein kleiner, goßer Brocken :D


GLG :bussi:
 

Tulpinchen

goes Hollywood
Ich bin total gerührt von Deinem Bericht und weiß gar nicht recht, was ich schreiben soll...

...übrigens habe ich auch in Lich entbunden. Wir haben uns nur knapp verpaßt: ich bin am 10.12.02 entlassen worden.
 

Maike

Unbezahlbar
Hallo!
Muss mir grad die Tränchen wegblinzeln :( - du hast das so schön und einfülsam geschrieben.

Alles Liebe für Euch zwei! :D

Maike
 

Leo28.04.01

Gehört zum Inventar
:-(
Liebe Namensvetterin!
Ich kann das mit Deinem Papa sooooo gut nachvollziehen..... Meiner ist letztes Jahr im September nur 5 Tage vor der Einschulung meiner grossen Tochter und 3 Tage vor seinem 64. Geburtstag gestorben!!
Ich kann es immer noch nicht begreifen und glaube fest daran, dass er unser Schutzengel ist. Er sieht uns jeden Tag und passt auf seine Enkelinnen auf....Und auf uns natürlich auch :-(

Liebe gerührte Grüsse, Steffi mit ihrem Papa voller Liebe im Herzen :herz:
 

Silvia

Showtalent
Liebe Stephanie,

das hast Du wirklich wunderschön geschrieben! :jaja: Das mit den Tränen wegblinzeln kann ich nur bestätigen.

Ich bin mir sicher, daß dein Vater bei vivians Geburt bei dir war, so wie meiner bei mir war und dafür gesorgt hat, daß Mariechen das ganze Chaos, wider Erwarten, doch kerngesund überstanden hat. :jaja:

Gerührte Grüße

Silvia
 

Petra

desperate housewife
:rose:

Liebe Stephanie, ich glaube, das ist wirklich so: Bei meinen Beiden ist auch jedesmal kurz zuvor ein enges Familienmitglied gegangen, die Familie ist also nie kleiner geworden :) :herz: So schlimm es auch ist, anscheinend soll es wohl so sein :jaja: :-?
 

Hutzi

Familienmitglied
Liebe Stephanie,

danke Dir für Deinen liebevollen Geburtsbericht. Er hat mich sehr an die Geburt von Tamara erinnert. 2 Wochen vor Tamaras Geburt ist ihre Urgroßmutter völlig unerwartet eingeschlafen. Sie hat uns kurz vor ihrem Tod noch gesehen und freute sich, daß es meiner "Kugel" gut ging (Die Umstände sind hier eigentlich das Ereignis, aber das würde Dein Posting sprengen). Das läuft uns bis heute noch hinterher und ich erzähle Tamara immer, daß sie nun ihr Schutzengel ist und es tröstet uns, wenn wir sie doll vermissen.

Gruß Eva
 
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