Gedichte & Gedanken Die zweifelnde Maus

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Es war einmal eine Maus. Die wohnte in einem gemütlichen, kleinen Erdloch am Ende der Blumenwiese vor der Stadt. Dort hatte sie es sich bequem gemacht, hatte Vorräte für den Winter gesammelt und kannte ihre Nachbarn.

Eines Tages traf sie die Ente, die am nahegelegenen Weiher wohnte.

„Hallo Ente“, grüßte sie. „Wo gehst du hin? Du hast ja dein ganzes Hab und Gut gepackt.“

„Ich gehe über die Straße, Maus“, sagte die Ente. „Ich habe gehört, daß die Menschen aus der Stadt kommen und etwas Großes auf unserer Wiese bauen wollen. Jetzt such ich mir drüben einen Platz zum Wohnen.“

Papperlapapp, dachte die Maus. Die Ente muß sich verhört haben. Am nächsten Tag traf sie den Frosch aus dem Tümpel.

„Hallo Frosch“, grüßte sie. „Wo hüpfst du hin? Du hast ja dein ganzes Hab und Gut dabei.“

„Ich gehe über die Straße, Maus“, antwortete der Frosch. „Der Fuchs hat mir erzählt, daß die Menschen aus der Stadt kommen und unsere Wiese vernichten wollen. Drüben such ich mir einen Tümpel.“

Ach, Unsinn, dachte die Maus. Was der Fuchs wieder alles erzählt. Die Menschen kommen doch ständig hier her. Am Tag darauf traf sie die Eule.

„Hallo Eule“, rief sie. „Was gibt es Neues?“

„Die Menschen kommen, Maus“, sprach die Eule. „Sie werden die Wiese zerstören. Alle Tiere suchen sich jenseits der Straße ein neues Zuhause. Du solltest dich beeilen und auch gehen.“

Da wurde die Maus sehr nachdenklich. Die Ente, der Frosch und jetzt die Eule – sie alle konnten sich doch nicht gleichsam irren. Doch die Maus zweifelte noch. „Wie komm ich über die Straße?“ fragte sie sich. „Die Ente und die Eule fliegen. Der Frosch macht einen großen Satz. Aber ich, ich muß ja laufen. Und wenn ich nicht schnell genug bin, überfahren mich die Autos. Nein, das ist mir zu gefährlich“.

Am nächsten Tag hörte sie in der Ferne den Lärm von Baumaschinen. „Die Anderen scheinen Recht gehabt zu haben“, dachte sie, „ich höre die Menschen. Da wurde sie traurig und sah sich in ihrem Heim um. „Was, wenn ich ein solch gemütliches Zuhause nicht mehr finde“, fragte sie sich. „Ich bin hier doch zuhause. Hier bin ich glücklich. Nein, das ist mir zu unsicher.“

Als der nächste Morgen graute, konnte die Maus in der Ferne die Menschen sehen. „Die Tiere haben mich ja gewarnt“, weinte sie jetzt ängstlich. Sie blickte in ihre für den Winter bereits gefüllte Vorratskammer. „Wie soll ich wissen, wo ich drüben meine Nahrung finde? Ich kann nicht alle meine Vorräte mit nehmen. Wenn ich nichts finde, werde ich verhungern. Nein, davor fürchte ich mich. Vielleicht kommen die Menschen ja gar nicht bis hier her an mein Haus.“

Und so blieb die Maus, wo sie war. Am nächsten Tag pflügten die Bagger und Baumaschinen die Erde der Wiese um und hoben ein großes Loch aus.

10.April 05
 
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