Wen es interessiert - mein Bericht aus der Reha (sehr lang)

Am 19.02.2008 sollte es also losgehen. Geschlafen habe ich eigentlich so gut wie gar nicht. Um 4 Uhr morgens wollten wir losfahren, aber um 1 Uhr bin ich schon aufgestanden, habe Brote geschmiert und Obst geschnippelt. Die Fahrt war ganz okay. Mit drei Pausen waren wir um 12.15 Uhr in der Klinik. Riesig sag ich euch. Unzählige Gebäude, alle mit unterirdischen Tunneln verbunden. Mir wurde dann alles gezeigt und erklärt und dann wurde ich „allein“ gelassen. Zum Glück trudelten auch bald die anderen ein. Zwei von den Mamis kannte ich schon übers Internet und auch die anderen waren so nett, es war klasse.

Unser Zimmer war schön groß mit drei Betten und drei Schränken, aber leider hatte es keine Rollos – nur so blöde Vorhänge. Abends war dann noch eine Aufnahmeuntersuchung. Es hatte sich alles etwas gestaut, so dass wir eine Stunde warten mussten. Jan ist mir dann auf dem Schoß eingeschlafen, klar es war ja auch mittlerweile 19 Uhr. Er wurde gemessen, gewogen und Blutdruck gemessen. Mir wurden viele Fragen gestellt und dann wurde mir mitgeteilt was die nächsten Wochen auf uns zukommt.

Ich sollte an einigen Schulungen teilnehmen (Tipps und Erziehungshilfen für Eltern + ADHS Schulung, Triple P, Adipositas Schulung = Theorie und Lehrküche, Therapie zum Anfassen, EWS Schulung = Entwicklungsstörungsschulung und so weiter. Jan musste jeden Tag zum Blutdruck messen, ein Kopfschmerzprotokoll ausfüllen und in den Stützpunkt. Dort bekam er Therapien wie Wahrnehmung, Ergo, grundlegender Unterricht, Psychomotorik, Konzentrationstraining, geführte Wanderung, soziales Kompetenztraining, Kopfschmerzgymnastik und Schwimmen. Stützpunkt war immer von 8.45 Uhr bis 11.20 Uhr und von 15 Uhr bis 15.45 Uhr. Zu den Zeiten waren dann auch unsere Schulungen und es war ziemlich stressig, weil manche auch um 8.45 Uhr anfingen bzw. um 11.20 Uhr endeten. Die Rennerei war groß. Da es viele Treppen dort gab, habe ich sogar meine Angst vor Fahrstühlen überwunden, anders gings gar nicht.

Anfangs ging es noch drunter und drüber ... Jans Therapieplan wurde noch mal geändert und wir mussten uns Vorträge vom Chef anhören, die Kinder mussten zum Sporttest, Haltungstest etc. Nach 4 Tagen hat sich aber alles eingependelt und vor allem .... wir haben uns nicht mehr ständig verlaufen. EKG und EEG wurden bei Jan auch gemacht und Blut abgenommen um die Schilddrüse zu kontrollieren und ein Allergietest. Alles in allem waren die da wirklich gründlich und ich habe alles mitgenommen was ging. Dann hab ich zu Hause keine Rennerei.

Ich war gleich die erste Woche krank. Keine Stimmer mehr, also musste ich in die Stadt zum Arzt = Penicilin. Das hab ich nicht vertragen und habe dann Durchfall bekommen und hing wirklich eine Woche lang so richtig durch. In der zweiten Woche hat Jan dann einen Migräneanfall bekommen und danach Magen-Darm-Grippe und er musste 3 Tage im Zimmer bleiben und durfte nicht rauskommen. War aber nicht so schlimm für ihn, denn das eine Mädchen hat ihm immer wenn die anderen Kinder im Stützpunkt waren ihren Gameboy geliehen.

Jan war die ersten drei Tage so lieb, dass ich wirklich ganz oft von den anderen Mamis gefragt worden bin , was ich da eigentlich auf der ADHS-Station mache, aber dann ist er aufgetaut und der Aha-Effekt war da.

Wir mussten jeden Abend eine Essensliste ausfüllen fürs Abendessen am kommenden Tag. Also wie viel von welchem Brot, Wurst, Käse etc. Ganz oft haben wir es auch vergessen. Wir waren bei der Küche eh nicht beliebt, weil wir ständig was zu beanstanden hatten. Einmal war das Essen kalt, manchmal zu wenig, manchmal das nicht bestellte usw. Die waren bestimmt froh, dass wir jetzt weg sind. Das Essen mittags war abwechslungsreich, aber nicht wirklich gut. Entweder versalzen oder fad oder die Konsistenz war zum weglaufen. Aber wir haben es überlebt. Den einen Mittag hat eine Mutter dann mal Käsespätzle gemacht und wir haben richtig reingehauen. Am letzten Abend haben wir dann Pizza bestellt.

Unsere Stationsärztin war die Wucht. Irgendwann am dritten Abend kam sie bei uns abends reingestürmt und fragte ob wir noch was zu Essen über hätten. Wir mussten echt lachen. Und dann kam sie regelmäßig bzw. eigentlich fast jeden Abend wenn sie Dienst hatte. In der 4. Woche hat sie uns dann sogar das DU angeboten, aber halt nur privat auf Station – klar.

Die Kinder haben sich viel angezickt, war aber zu erwarten. Es war tierisch laut und auch anstrengend, aber wir haben es gut gemeistert. Einmal musste die Sozialpädagogin dazu gezogen werden, damit ein klärendes Gespräch nicht eskaliert, aber war okay. Nach dem Abendessen haben wir zwei uns immer ins Zimmer zurückgezogen bis Jan ins Bett ist. Das haben wir auch die ganzen 6 Wochen durchgezogen, wir brauchten diese Zeit einfach. Die anderen sind ja um halb acht immer noch laut lärmend durch den Flur gerannt, aber dann hätte ich Jan nicht runtergekriegt. War aber okay so. Wir haben dann immer viele Spiele gespielt und ich habe jeden Abend vorgelesen etc.

Ansonsten waren wir oft in der Stadt (Fußweg 15 Minuten hin und 25 Minuten zurück, da nur bergauf). Ich war einmal mit Jan im Kino, da haben wir einen Sonntag mal was allein gemacht. Haben uns die Wilden Kerle 5 angeschaut. Ich bin ja auch ein Fan von den WK und wir fanden den Film klasse. Im Zoo Hellabrunn waren wir auch einmal und wir haben eine sogenannte Alpenrundfahrt gemacht, die hätten wir uns aber auch sparen können. Mit dem Bus nach Oberammergau, eine ¾ Stunde Aufenthalt, weiter zum Schloss Linderhof, dann nach Garmisch-Partenkirchen und 2,5 Stunden Aufenthalt. Also sollte ich noch mal hinfahren, werden wir die Alpenrundfahrt definitiv nicht mitmachen. Einmal waren wir auch noch mal mit dem Zug in Garmisch, da man dann doch mehr Zeit hat. Wir haben uns mit dem Taxi zu so ner Klamm fahren lassen, die war total weit ausserhalb, aber als wir ankamen regnete es und wir haben uns entschlossen, dann einfach wieder zurück zu laufen. Dabei kamen wir dann noch an der Olympia-Skisprungschanze vorbei. Hab ich mir viel größer vorgestellt und die Zugspitze haben wir gesehen. Leider ist die Fahrt rauf zu teuer.

Massagen habe ich auch verschrieben bekommen vom Orthopäden dort. 6 x Wärmetherapie mit Fango und Massage. Das war sooooooooooooooo schön. Hach.

Schnee hatten wir auch zweimal. Die Kinder sind stundenlang Schlitten gefahren, es war zum Glück Wochenende. Da gibt’s extra einen Rodelberg. Ich bin auch zweimal mit Jan gefahren, aber wir sind nie unten angekommen. Auf halber Strecke hat es uns immer hingeschmissen, aber wir hatten Spass.

Zum Thema Medikamente. Das habe ich von Anfang an immer wieder angesprochen. Es wurden dann einige Tests gemacht, die verschiedenen Therapeuten wurden befragt und letztendlich wurde es bestätigt, dass Jan ADHS hat und zwar in einer Form die Tabletten erforderlich machen wenn er die Schule und überhaupt sein Leben meistern will. Er bekommt aber kein Ritalin. Seine Tabletten haben einen anderen Wirkstoff, das Medikament ist auch etwas neuer. Die Ärztin musste ja eines finden was mit seinen Migräne-Tabletten harmoniert, weil das ja Beta-Blocker sind. Angefangen haben wir mir 18 mg für 8 Tage, dann 25 mg für 10 Tage und ab Samstag bekommt er 40 mg, das ist die Zieldosis. Ich merke aber schon ein bisschen was und denke dass wir es so vielleicht schaffen. Es kann auch sein, dass er vielleicht noch das Medikament wechseln muss, aber das hat man mir gleich gesagt, dass es lange dauern kann bis er richtig eingestellt ist. Wenn wir Glück haben, dann ist es schon DAS Medikament, aber es kann halt auch anders sein. Das müssen wir abwarten, die volle Wirkung zeigt sich erst nach 4-6 Wochen und er bekommt ja erst ab übermorgen die volle Dosis.

Einmal hat Jan einen richtigen aggressiven Wutanfall bekommen. Ich war etwas zu spät um ihn vom Stützpunkt abzuholen, da die Schulung wieder genauso lang gedauert hat und da war er schon am bocken mit der Stützpunktleiterin. Sie hat sich dann mit ihm eingeschlossen und mir gesagt, ich soll auf Station gehen, sie bringt ihn mir. Nach 1 Stunde (!!!!) rief sie dann an, es war die längste Stunde meines Lebens. Sie mussten den Eskalationsdienst rufen, das ist ein speziell ausgebildeter Sozialpädagoge, der wird ihn gleich bringen. Puh, das war echt heftig, sag ich euch.

Wir waren fast jeden Tag draussen, egal welches Wetter war. Am See, im Wald, auf den Spielplätzen. Hauptsache raus, sonst kriegt man nen Koller. Die Umgebung ist auch einfach klasse. Wenn es mal wirklich nicht rausging, sind wir Schwimmen gegangen oder in die Turnhalle. Manchmal war auch Singstunde oder wir haben gebastelt und gemalt.
Jan und ich sind zweimal in einem Mit-Mach-Märchen in der Kirche gewesen. Jan war einmal der König (bei Rumpelstilzchen) und einmal eine Kröte (bei Die drei Federn). Hat ihm riesigen Spass gemacht. Am Palmsonntag waren wir dann in der Stadt auf dem Palmmarkt, da war auch ein Drehleiterauto der Feuerwehr und er ist einfach hinspaziert und hat gefragt ob ich ein Foto machen dürfe vor dem Auto mit den Feuerwehrmännnern. Genauso irgendwann in der Fußgängerzone. Polizei fuhr vor, zwei Polizisten stiegen aus und schon war Jan weg zum fragen nach nem Foto.
Ein Zahn ist ihm auch noch ausgefallen und er war ganz stolz. Leider sind die neuen schief rausgekommen.

Zum HNO müssen wir mit Jan auch, da hab ich grad nen Termin für nächste Woche ausgemacht. Er schnarcht nämlich und wie. Eventuell müssen die Polypen raus.
Und zum Kardiologen müssen wir auch zur Kontrolle, da bei dem einen EKG irgendso eine P-Welle nicht okay war. Ist nichts schlimmes, muss aber kontrolliert werden, vor allem wegen den Tabletten.

Ostern war auch ganz schön. Ich habe in der Nacht alles im Zimmer versteckt. Es kam ja ein riesen Päckchen von Oma hier an. Vorher waren wir draussen beim Osterfeuer, das wurde gesegnet und dann sind wir in die Kirche zum Ostergottesdienst. Danach war Eier suchen angesagt auf dem Gelände draussen.

Jans Esserei ist jetzt durch die Tabletten natürlich total blöd. Die zügeln den Apetitt, das ist aber ganz normal und er isst dann halt abends. Das ist bei uns natürlich gut, weil es das warme Essen bei uns ja abends gibt. Morgens krieg ich mit Mühe und Not ein Viertel Apfel oder einen Fruchtzwerg in ihn rein. Das muss sein weil ohne Essen kann ich die Tablette nicht geben. Mittags habe ich oft mit ihm gefeilscht. Ich wollte dass er z.B. zwei Fischstäbchen isst, er wollte nur eins und letztendlich hab er ein halbes gegessen. Morgens zwei Bissen Brötchen und satt. Daran musste ich mich jetzt erst gewöhnen, das war ich ja nicht gewohnt.

Ach ja und eine Schifffahrt haben wir am Sonntag auch noch gemacht und waren danach Minigolf spielen. Wir hatten 24 Grad und es war klasse.

Tja ansonsten gibt’s eigentlich nichts zu berichten glaub ich. Wenn mir noch was einfällt schreib ich es noch ....
 
A

Anna

AW: Wen es interessiert - mein Bericht aus der Reha (sehr lang)

Hallo,
Dein Bericht liest sich anstrengend, aber gut.
Ich hoffe Euch hat die Reha gut getan.
 

Claudia

glücklich :-)
AW: Wen es interessiert - mein Bericht aus der Reha (sehr lang)

Uff - klingt anstrengend und doch erholsam. Hauptsache, die Reha war nicht umsonst und ihr habt für Euch das herausgefunden, was ihr gebraucht habt.

Liebe Grüße
Claudia
 

alya

Familienmitglied
AW: Wen es interessiert - mein Bericht aus der Reha (sehr lang)

Uff, klingt anstrengend, aber auch sehr sehr positiv, wie ich finde. Vor allem mit genauer Diagnose und Hilfe. Das ist doch schon sehr viel Wert.

Mein Sohnemann (ist 4,5 ) hat auch ADHS (entgültig diagnostiziert vor knapp einer Woche), aber bisher "nur" in einer Form, die keine Gabe von Medikamenten nötig macht. Lediglich homöopathisch greifen wir ein, weil wir alle merken, dass es ihm sehr gut hilft. Eine Eltern-Schulung zum Thema ADSH machen wir im Sommer noch (mein Exmann und ich), die wird auch Yannics KiA durchführen.

Ich wünsch Euch alles Gute!
 

Silvia

Showtalent
AW: Wen es interessiert - mein Bericht aus der Reha (sehr lang)

Christina, das hört sich nach anstrengenden 6 Wochen an. Aber ich hoffe, die Kur war der richtige Weg für Euch und Jan ist mit den Tabletten bald richtig eingestellt.

Alya, meines Wissens nach kann doch AD(H)S erst mit 6 Jahren entgültig festgestellt werden. Oder hat sich daran in den letzten 2,5 Jahren etwas geändert?
 

Tina

Glücksbringer
AW: Wen es interessiert - mein Bericht aus der Reha (sehr lang)

Christina schön zu lesen. Danke für Deine Mühe alles aufzuschreiben.
Ich freue mich auf unser nächstes Treffen.

LG

tina
 

Brini

ohne Ende verliebt
AW: Wen es interessiert - mein Bericht aus der Reha (sehr lang)

Hallo Christina,

danke für diesen ausführlichen Bericht. Es hört sich wirklich anstrengend an, aber ich hoffe sehr dass es euch viel geholfen hat!

:bussi: Sabrina
 
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