Mal was Positives: Wie habt ihr den Mauerfall in Erinnerung?

ina

Gehört zum Inventar
AW: Mal was Positives: Wie habt ihr den Mauerfall in Erinnerung?

Ich war 12 Jahre alt u. hatte gerade eine Angina*gg*. Nee ich habe es auch sehr emotional erlebt u. nicht nur den 9.11. sondern die ganze herum, mit den Monatgsdemos usw., auf die mich meine Eltern anfangs nicht mit nehmen wollten, aber ich unbeding t wollte u. dann auch durfte.
Mich hat eigentlich am meisten bewegt, das durch den 9.11. der grøsste Wunsch meiner Mutter war werden konnte: Einmal nochmal in Westberlin flanieren gehen, sie ist in Berlin aufgewachsen u. war in ihrer Jugend oft in westberlin u. der 2 Wunsch fast noch groesser: einmal nach Norwegen zu kommen, was ihr ja nun direkt erfuellt werden konnte!
Mein Vater u. Bruder fuhren gleich 2 Tage spåter nach Westberlin u. wir alle fuhren dann nach 1 Woche u. an diese Bahnfahrt werde ich mein Leben lang denken, solche vollen Zuege, selbst auf Klos waren Leute, ich selbst habe die Fahrt in der Gepæckablage ueber den Sitzen verbracht u. die Rueckfahrt kotzend, weil ich den guten Saft nicht vertrug(habe ne Mangoallergie) wie sich so herausstellte.
Trotz meines relativ jungen Alters habe ich den Tag , die Zeit intensiv erlebt u. ja den Geruch von den Læden habe ich heute noch in der Nase u. denke manchmal, Mensch wieviel Duefte/Gerueche sind jetzt um uns herum das wir eben solche Dufterlebnisse gar nicht mehr haben kønnen, wir so an solche Unmengen von Parfuemen/Dueften umgeben sind.
Ich kønnte auch seitenlang schreiben glaube ich.

LG og god natt
Ina
 

Kathi

Dino
AW: Mal was Positives: Wie habt ihr den Mauerfall in Erinnerung?

1989 hatte ich gerade das Grundstudium hinter mir. Ich war 21 und lebte in der DDR. Das Hauptstudium begann in einer doch brodelnden Atmosphäre. alle waren unsicher: Dozenten, Mitarbeiter, Parteileitung, Kommilitonen. Fragen unsererseits wurden immer nur ausweichend oder gar nicht beantwortet. Es gab Montagsdemos und im Dom Montagsgebete.

Am 9. November waren wir, unser Wohnheim-Zimmer, bei einer Dirty-Dancing-Fete :hahaha: . Der Film war damals gerade in den Kinos, den ganzen Sommer schon war der Fil der Hit. So ergab es sich, dass man daraus regelrechte Parties machte: Erst wurde der Film gezeigt, den man schon x-mal gesehen hatte, dann wurde getanzt. Nach der Party kehrten wir noch in einen Studenten-Club ein. Wir kamen ziemlich spät (oder früh :) ) ins Wohnheim zurück und legten uns gleich schlafen. Wir haben überhaupt nichts mitbekommen. Am nächsten Morgen beim Frühstück, wir hörten natürlich Westradio :) (NDR2), kam plötzlich: Unser Reporter XYZ meldet sich gleich noch mal von der Grenze". Wir waren ziemlich erschrocken, dachten wir doch, dass was Schlimmes passiert sein musste. Aber plötzlich die Erleichterung, als wir hörten, die Grenze ist offen.

Einige Kommilitonen sind an diesem und auch an den folgenden Tagen gar nicht zur Uni gekommen, sie sind gleich nach Berlin gefahren.

Ich bin erst ziemlich spät mit einigen Kommilitonen in den Westen gefahren. Das muss irgendwann im Dezember gewesen sein. Wir waren beim Fakultätsball, sind dann für ein paar wenige Stunden ins Wohnheim gegangen und dann ziemlich früh mit dem Zug nach Helmstedt gefahren. wir haben mit uns gehadert, ob wir das sog. Begrüßungsgeld überhaupt abholen sollten. Brauchten wir Almosen? Letztendlich haben wir uns doch angestellt (ein Mutstudent meinte scherzhaft: "Schließlich hat die DDR die Reparationsleistungen an die Sowjetunion fast ausschließlich alleine erbracht, da müsen wir jetzt kein schlechtes Gewissen haben, wenn wir uns jetzt vom Westen Geld schenken lassen."

Ich war erschlagen von den ganzen Farben und Gerüchen in den Geschäften und hatte recht schnell Kopfschmerzen. Letztendlich habe ich mir erst mal eine Kiwi gekauft - da hat die Neugier gesiegt, wie diese Kartoffelähnliche Frucht schmeckt :hahaha: .

Das Geld habe ich dann so nach und nach ausgegeben: Im Intershop (endlich durfte ich mal da rein :hahaha:) oder bei wiederholten Fahrten nach Helmstedt oder Braunschweig.
 

Kathi

Dino
AW: Mal was Positives: Wie habt ihr den Mauerfall in Erinnerung?

Kann eigentlich jemand nachvollziehen, wieso ich nicht verstehen kann, daß soooo viele Westdeutsche jenseits eines 50 km-Streifens hinter der Grenze sich überhaupt nicht dafür interessiert haben bzw. auch heute kein Interesse mehr daran zeigen? Klar, ich weiß, daß es damals auch zu Belastungen im westlichen Teil Deutschlands geführt hat, daß viele Ungerechtigkeiten in der Verteilung von Geldern gesehen haben, daß es vorher wenig Informationen über die DDR gegeben hat.
Warum verstehe ich solche Statistiken einfach nicht?

Ja, ich kann das verstehen. Ich war einfach nur neugierig auf den anderen Teil Deutschlands und habe mir schon viel, wenn auch noch nicht alles angesehen. Ich habe 1990 auch gleich "zugeschlagen" und mein Praxissemester im westen gemacht, nämlich bei Siemens Nixdorf in Paderborn. Es war echt spannend, die Leute dort zu erlben, zu sehen, dass dort auch nur mit Wasser gekocht wird und auch den Stellenwert meines Studiums zu messen.

Ich bin in Tübingen mal einer älteren Frau begegnet, die da die Straße vor ihrem Haus gefegt hat. Wir sind irgendwie ins Gespräch gekommen, sie war sehr nett, fing dann allerdings plötzlich an, wie schade es doch heutzutage sei, dass jetzt jeder in ihre schöne Stadt kommen kann und sie so viele Steuern nur für die Ausländer und "nach drüben" zahlen muss... :(

Ich finde es auch total traurig, dass da manchmal so gar keine positive Neugier da ist...

O-Ton nach Einführung des Solizuschlages: Wir zahlen ja für die Ossis den Solizuschlag, die sollten auch mal was zahlen. :umfall: Nur gut, dass den alle zahlen :nix: .

Ja, aber über die mit offenem Mund staunenden Ossis lächeln, die mit ihren Dederonbeuteln durch die grenznahen Städte zogen...
Und dann haben sie ganz schnell, so ca. ab Adventszeit 1989, Wochenmärkte im Osten veranstaltet, auf denen sie das Kilo Bananen für 5,- DM verkauft haben. Und da wir mit dem Geld noch nicht so vertraut waren, wurde das Wechselgeld sehr oft falsch herausgegeben - merkwürdigerweise immer zu unseren Ungunsten.
Für mich ist der Duft einer Ananas immer noch mit der Erinnerung an den ersten Besuch in einem westdeutschen Supermarkt verbunden. Und die erste Kiste Mandarinen der Marke "maroc", die hielt ganze zwei Tage, weil wir uns endlich daran sattessen durften...
Irgendwie klingt das alles wie ein gut bedientes Klischee, aber es war einfach so...

Oh ja, echte Orangen, nicht nur die grünen kubanischen. Schokolade, die schmeckte, Joghurt der schmeckte.

Aber es hatte auch alles Schattenseiten: Als die D-Mark am 1.7. 1990 eingeführt wurde, gab es nur noch Westpreise, d.h. das Brötchen hat nicht mehr 5 Pf, sondern 20 Pf gekostet, das Brot nicht mehr 93 Pf, sondern 3 DM usw. Aber wir hatten ja nicht mehr Geld zur Verfügung. Es blieb bei 200 DM Stipendium oder eben bei den DDR-Löhnen, die nicht gerade üppig waren. Ich hätte nach dem Studium mit 800 DDR-Mark angefangen :umfall: .
 

Die Solistin

Dauerschnullerer
AW: Mal was Positives: Wie habt ihr den Mauerfall in Erinnerung?

Ich finde Eure Beiträge absolut klasse!!! Nachdem ich ein paar Tage nicht hier war, lese ich mich gerade mit roten Wangen fest. Florence, Deine Erlebnisse sind gelebte Geschichte, so wie die vieler anderer hier auch. Irgenwie sind wir alle Kinder dieser Zeit - und dann wieder so verschieden. Ja, es ist richtig, vielen im Westen war es egal, unheimlich, keine Ahnung... Meiner Familie, die sehr von der Teilung betroffen war, war es eine Herzensangelegenheit, beim Kennenlernen ganz nah dabei zu sein. Meine Uni hat damals sehr schnell einen Austausch von Wissenschaftlern auf due Beine gestellt. Das war für alle eine enorme Bereicherung.
LG Marah
 

Olivers-Mama

Desperate Housewive
AW: Mal was Positives: Wie habt ihr den Mauerfall in Erinnerung?

hab mir leider nicht alle Erlebnisse durchlesen können, möchte aber selbst noch was dazu schreiben.

Ich ("Ossi"<<< was für ein Wort.....) war 16. Im Sommer ´89 war ich mit meinem Eltern in Berlin urlaub machen. Meine Mutter hatte ihre Schwester in Köln. Sie haben sie jahrzehnte nicht sehen dürfen.
damals in berlin standen wir auf der Friedrichstrasse (?) mit Blick zum Checkpoint Charlie. meine Mutter hatte so einen Hass auf die Regierung...sie wollter so gern ihre Schwester wieder sehen, durfte aber nicht....am liebsten wäre sie da durch den Checkpoint durchgemacht!!

Um so erfreulicher war es dann halt, das plötzlich dann die mauer auf war!!
Eine wahnisnnsfreude überkam uns alle!!

In der Schule (ich war 10.Klasse) war plötzlich alles lockerer. Staatsbürgerkunde wurde abgeschafft, dafür dann Gesellschaftskunde.
Wir sind damals noch Samstags in die Schule, das wurde dann auch abgeschafft, wir hatten im wahrsten Sinne MEHR FREIHEIT.

ich müßte mal meine alten tagebücher rauskramen....da steht sicher noch mehr....
 

Die Solistin

Dauerschnullerer
AW: Mal was Positives: Wie habt ihr den Mauerfall in Erinnerung?

Der Tod von Bärbel Bohley hat mich auch mitgenommen. Ich merkte, dass ich doch sehr innehielt und nachdenklicher wurde. Wir haben ihr und manch anderem mutigen Mitstreiter viel zu verdenken. Ich bin gespannt, wie das ganze Thema einmal in den Geschichtsbüchern unserer Kinder aufgearbeitet wird. Und dann kam man froh sein über all die eigene gelebte Geschichte. Z.B. auch über Tagebücher, Fotos, erzählfreudige Omas, Eltern... Ich freu mich schon darauf, mit meiner Tochter über all diese Dinge zu sprechen.
Eure Marah
 
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