31. oktober, 10.30h

Hedwig

Sternenfee
Ein verregneter Sommer nimmt seinen Lauf. Während ich hier im warmen sitze, drücken Regentropfen beleidigt ihre Nasen am Fensterglas platt, hinterlassen ihre Schnodderreste neben getrockneten Nebenbuhlern. Energisch lassen sie sich vom Wind Kraft geben, als wollten sie kleine Schlupflöcher ins Glas schlagen.

Ausgeblendet wird das stetige Geplapper der Tropfen durch ein kleines Seufzen, ein tiefes Atmen, ein unruhiges Geraschel. Das Babyphon erinnert mich daran, dass ich nicht endlos die Gelegenheit habe, die Erinnerungen an deine Geburt niederzuschreiben und festzuhalten. Fast acht Monate danach spüre ich jedoch, dass Einzelheiten bereits verschwimmen und es Zeit wird.

Der Sommer 2004 ging durch die Medien als Rekordsommer. Hitzeperioden haben uns die letzten gemeinsamen Wochen nicht leicht gemacht. Dennoch ging es uns gut. Dein Köpfchen lag unten, deine Beine schoben mir abwechselnd den Magen Richtung Zunge und die Lunge zwischen die Rippen. So wie es sein muss. Ich hatte Angst vor der Geburt, freute mich aber endlos auf das Erlebnis, was uns allein gehören sollte und uns für immer miteinander verbinden sollte...

Du wurdest größer und größer in mir... und größer. Zu groß für den Geschmack des Arztes, warst deinem Alter immer zwei Wochen voraus.
Mit einer Schwangerschaftsdiabetes hatte ich niemals gerechnet, aber die Diagnose änderte alles. Meine traumhafte Schwangerschaft sollte im Kaiserschnitt enden. Ich sollte dir die Entscheidung abnehmen, auf die Welt zu finden. Und die ersten Hände, die dich tragen würden, würden nicht meine sein... Meine letzter Trost war, dir den Zeitpunkt überlassen zu dürfen. Bis schließlich drei verschiedene Ärzte mir auch davon abrieten und mir doch einen Termin-Kaiserschnitt nahe legten.

Den Morgen vor deiner Geburt schätzte man dich beim „Check-in“ auf 5100g. Deinen Papa und mich hat es an unserem letzten Tag zu zweit immer wieder nach draußen gezogen. Nach der letzten Untersuchung am Nachmittag sind wir abgehauen und haben uns in Bensberg in ein kleines Eiscafé gesetzt. Nach dem Rekordsommer ein traumhafter Frühlingstag mitten im Oktober.

Abends setzten die Wehen ein. Ein erstaunter Blick der Hebamme: also wenn das so bleibt, dann können wir uns den Wehentropf (auf den ich bestanden hätte vor dem Kaiserschnitt) ja sparen.

In der Nacht hat unser gemeinsames Leben in meinem Kopf schon begonnen. Eine Gedankenspirale ging in die andere über und in meiner Erinnerung habe ich nicht geschlafen. Dein Papa dagegen wie ein Stein. Ein Stein an meiner Seite, in einem großen fremden Bett. Meine Gefühle schwankten zwischen der Traurigkeit, mich von meinem alten Leben zu verabschieden, der Angst, dass du nicht gesund sein könntest, der Unsicherheit, was da kommen mag, Skepsis, ob ich der Mamarolle gewachsen bin und Ruhe. Ruhe, die du mir durch ein leises Streicheln der Bauchwand, einen zarten Stups ab und an schenktest. Als würdest du sagen wollen: wir machen das schon, Mama.

Die Wehen waren am nächsten Morgen noch da und die Ärztin beglückwünschte mich: Besser würden wir sie mit dem Wehentropf auch nicht hinbekommen. Sollte ich wirklich den richtige Tag ausgesucht haben? Die Frage hast du kurze Zeit später mit einem ziemlich nassen „JA“ beantwortet, als du die Fruchtblase gesprengt hast. Wieder hast du mir Ruhe geschenkt, die Zweifel genommen.
Ich hatte aufeinmal keine Angst mehr. Nicht, als sie mir die Spritze in den Rücken setzten, nicht, als mir das Narkosemittel die Lungen hoch stieg, nicht als der Tisch wackelte.... In meiner Erinnerung halten zwei warme, große Hände meinen Kopf, brabbelt ein freundlicher Anästhesie-Helfer über die Namen seiner Kinder, laufen mir endlos Tränen die Wangen hinunter.

Dein erster Schrei hörte sich an, wie das „määhäää“ eines kleinen Schäfchens und ich werde ihn niemals im Leben vergessen. Die Hebamme versorgte dich an meinem Kopfende und dein Papa ließ mich kurz alleine, um dich symbolisch von der Zeit in meinem Bauch zu trennen und dich anschließend in seine Arme zu nehmen.
Er legte dein Köpfchen an meine Schläfe: so unendlich warm und weich warst du. Auf dem Rückweg aus dem OP in den Kreißsaal, lag dein nackter Körper auf meiner nackten Haut (und du hast mir erst mal in die Hand gek....)

Das Bettchen, in das sie dich viel viel später legten, beschrifteten sie:

Emil Jonas, geboren am 31.10.2003 um 10.30 Uhr. 4100g, 53 cm, KU 38cm.

Für die ersten Momente und Stunden mit dir finde ich keine Worte. Aber ich bin mir sicher, dass die Gefühle uns beiden erhalten bleiben.
Du hast mich mir zurück gegeben.
Ich liebe dich.

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emluro

abtrünniger bücherwurm
wunderschön :muh:

und der name den ihr euch für ihn ausgesucht habt ist traumhaft finde ich !!!! :bravo:
 
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